„Ein protestantisches Bollwerk“
Dachsanierung der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden abgeschlossen
Es war eine umfassende und vor allem aufwendige Baumaßnahme – doch mit dem Abschluss der Arbeiten ist das neugotische Gotteshaus protestantischer Identität am Rheinufer für die Zukunft gesichert. Das war nur mit einer Gemeinschaftsleistung und guter Planung möglich.
Biebrich, einst eigenständige Residenzstadt, gehört heute zu Wiesbaden, der Stadtteil ist ein lebendiger Mix aus Altbauten, Industriegeschichte und grünem Uferleben. Seit über einem Jahrhundert behauptet die Gedächtniskirche ihre prominente Position in unmittelbarer Nähe zum Biebricher Schloss, Sommerresidenz der nassauischen Herzöge. Mit ihrem markanten Turm prägt die einschiffige Hallenkirche die Silhouette der Stadt. Die angedeuteten Seitenschiffen und das Querschiff sind typische Elemente neugotischer Architektur, als man im 19. und frühen 20. Jhd. vielerorts eine Rückbesinnung auf mittelalterliche Bauformen suchte. Und genau diese tiefe historische und kulturelle Bedeutung für Wiesbaden-Biebrich galt es zu erhalten, denn die Untersuchungen im Vorfeld der Maßnahme hatten ein alarmierendes Bild gezeichnet.
Dringende Notwendigkeit
„Die Fähigkeit des Daches, Regen abzuhalten, ist in teils gravierender Form eingeschränkt“ hieß es im schönsten Architektendeutsch im Gutachten. Die Schäden durch eindringendes Wasser waren bereits deutlich sichtbar, vor allem an der Holzkonstruktion darunter. Schnell war klar: hier hilft keine punktuelle Reparatur mehr, das Dach musste vollständig erneuert werden.
Als Auftakt wurde die Kirche komplett eingerüstet und spezielle Wetterschutzdächer errichtet, um das Kircheninnere während der Arbeiten zu schützen. Deckenbalken, Mauerlatten, Stichbalken und Sparren, insbesondere im empfindlichen Traufbereich, wurden ertüchtigt. Zusätzlich wurde der gesamte Dachraum gereinigt und desinfiziert. Zukünftige Inspektionen und Wartungsarbeiten werden jetzt leichter durchführbar sein, denn man setzte neue Laufstege im Dachstuhl ein.
Das Dach bekam eine neue Eindeckung mit hochwertigem spanischem Schiefer in traditioneller „Altdeutscher Deckung“, diese Technik mit unregelmäßig geformten Schieferplatten unterschiedlicher Größe ergibt eine einzigartige Textur – unerlässlich für die historische „Dachlandschaft“. Im gleichen Zug erneuerte man sämtliche Dachrinnen und Regenfallrohre. In enger Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege Hessen beschloss man, die alten Zinkrinnen, die auf dem Gesims auflagen, durch ein System vorgehängter Kastenrinnen zu ersetzen. Das verbessert nicht nur die Wasserführung, sondern verbessert auch die historische Ästhetik und erfüllt die Anforderungen moderner konservatorischer Praktik. Die Blitzschutzanlage wurde ebenso modernisiert.

Dachsanierung der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden

Dachsanierung der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden

Dachsanierung der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden

Dachsanierung der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden

Dachsanierung der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden

Dachsanierung der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden

Dachsanierung der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden

Dachsanierung der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden

Dachsanierung der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden

Dachsanierung der Oranier-Gedächtniskirche in Wiesbaden
Gründung in der Kaiserzeit: Ein Symbol des Wachstums
Ende des 19. Jhds. wuchs die Bevölkerung in Biebrich durch die Industrialisierung am Rhein rasant an. Die Hauptkirche konnte die Gläubigen nicht mehr fassen, der Bau einer zweiten evangelischen Kirche wurde unumgänglich. Mit einem Bittgesuch wandte sich der Kirchenvorstand direkt an Kaiser Wilhelm II., der äußerst wohlwollend reagierte und der Gemeinde das erstklassige Grundstück am ehemaligen Rheinbahnhof für einen symbolischen Preis von 2.000 Mark überließ – ein Bruchteil des tatsächlichen Wertes von 75.000 Mark.
Aus einem Architekturwettbewerb mit 122 Einreichungen ging der Entwurf des Architekten Karl von Loehr als Sieger hervor: ein neugotischer Bau aus Miltenberger Rotsandstein, dessen imposanter Auftritt bewusst als weithin sichtbares „protestantisches Bollwerk am katholischen Rhein“ konzipiert war. Dazu gehörte auch der 59 Meter hohe Turm, der die Skyline dominieren und protestantisches Selbstbewusstsein über den Rhein projizieren sollte. Wilhelm von Oranien, genannt der Schweiger (1533-1584) aus der ottonischen Linie wurde zum Namensgeber. Er hatte sich in den Niederlanden als Vorkämpfer des Protestantismus den Spaniern entgegengestellt. Noch heute verehren ihn die Niederländer als „Vater des Vaterlandes“.
Die Grundsteinlegung war im Jahr 1902 und schon am 15. Mai 1905 wurde die Kirche feierlich eingeweiht. Wenige Tage später besichtigte das Kaiserpaar das vollendete Werk und Wilhelm II. trug sich in das goldene Kirchenbuch ein.
Zerstörung, Wiederaufbau und Beharrlichkeit
Der 1. Weltkrieg ging nahezu spurlos an der Kirche vorbei – die kaiserliche Protektion bewahrte sie sogar davor, ihre Glocken für Kriegszwecke abgeben zu müssen – doch der 2. Weltkrieg traf das Gotteshaus mit voller Wucht. Drei Glocken wurden eingeschmolzen und nur die kleinste blieb übrig. Bei einem verheerenden Bombenangriff Anfang Februar 1944 wurden weite Teile des Dachstuhls und des Gewölbes zerstört. Sämtlich Glasfenster des renommierten Künstlers Otto Linnemann gingen unwiederbringlich verloren.
Immerhin: der Turm und die Mauern waren intakt geblieben. Mit großer Beharrlichkeit setztes ich die Gemeinde für den Wiederaufbau ein. 1952 wurde eine neue Orgel installiert – die romantische Walcker-Orgel von 1905 wurde dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend nachhaltig verändert – und 1956 war erstmals wider ein volles Geläut zu hören.
Ein gemeinsames Werk
Gut 1,6 Millionen Euro hat die Sanierung am Ende gekostet – die Erhaltung eines Kulturerbes von der Dimension der Oranier-Gedächtniskirche übersteigt die Möglichkeiten einer einzelnen Gemeinde bei weitem. Derlei Mammutprojekte sind nur durch das Zusammenwirken von Stiftungen, kirchlichen Institutionen und der Kommune zu realisieren. Einen Förderantrag an die Stiftung KiBa hatten die Biebricher bereits Ende 2021 gestellt. Die eigentlichen Arbeiten fanden von 2022-2025 statt. Im April 2025 war die Bauabnahme und im Juni feierte die Gemeinde verdient ein großes „Dachfest“. Bis zum Abschluss des Projekt und der Dokumentation gingen noch ein paar Monate ins Land.
Mit der erfolgreichen Dachsanierung ist die Kirche für kommende Generationen gesichert: ein herausragendes architektonisches Denkmal der Neugotik und – viel wichtiger - ein lebendiges Zentrum der Oranier-Gedächtnisgemeinde. Eben jenes „protestantische Bollwerk am Rhein“.