Fester Halt für Gebäude und Gemeinde
„KiBa-Kirche des Monats Dezember 2021“ in Leubnitz
Der Plänermergel ist schuld. Armdick waren die Risse, die er verursacht hat! Und dann ist sie auch noch an einer Seite abgesunken, die Kirche in Leubnitz, einem Ortsteil von Dresden. Gut 1,8 Millionen Euro wird es kosten, das geschundene, denkmalgeschützte Gotteshaus wieder instand zu setzen. Alles wegen des Plänermergels…
Plänermergel? Geologen mögen es wissen: Der mit vielen Konsonanten gespickte, weitgehend unbekannte Fachbegriff bezeichnet eine Art Sedimentgestein, das insbesondere in der Dresdener Region vorkommt. Bei Feuchtigkeit quillt es auf, bei Trockenheit schrumpft es zusammen – kein guter Baugrund, schon gar nicht für eine Kirche, die Jahrhunderte überdauern soll.
Die trockenen Sommer seit 2018 haben dem Gotteshaus in Leubnitz besonders zugesetzt. „Im weitesten Sinne sind die Schäden auch eine Folge der klimatischen Veränderungen in unseren Breiten“, sagt Pfarrer Wolf-Jürgen Grabner. Mörtel- und Putzteile stürzten von der Decke, der Altarraum wurde gesperrt. Es gab keinen Zweifel: Der Boden unter dem Gebäude musste stabilisiert werden. Erste Notsicherungen begannen 2020, Mikrobohrpfähle wurden in die Erde gebracht, Schutz- und Stützkonstruktionen eingezogen. Inzwischen ist der Baugrund fest, „es ist keine Bewegung mehr festzustellen, die Vermesser können die Kirche unbewacht lassen“, sagt der Pfarrer. Erleichterung und Dankbarkeit schwingen auch mit, wenn er berichtet, dass in Kürze sogar das Gerüst im Inneren abgebaut werden kann: Die Risse sind beseitigt, Gewölbeschalen und -Rippen verankert, das Mauerwerk ist weitgehend verputzt, gestrichen und restauriert. „Das sieht – im wahrsten Sinne des Wortes – richtig gut aus!“ Die Stiftung KiBa hat das Großprojekt mit 15.000 Euro aus Mitteln der Rössner-Stiftung gefördert.
Eine der ältesten in Dresden ist sie, die Leubnitzer Kirche, und ein „architektonisch, baugeschichtlich und künstlerisch wichtiges Zeitzeugnis“, heißt es geradezu überschwänglich in einem Gutachten des sächsischen Landesamtes für Denkmalpflege. Herausgehoben „aus dem Bestand der Dorfkirchen in Sachsen und auch bundesweit“ präge sie „das nationale kulturelle Erbe“ mit.
Dorfkirche Leubnitz-Neuostra
Dorfkirche Leubnitz-Neuostra
Dorfkirche Leubnitz-Neuostra
Dorfkirche Leubnitz-Neuostra
Dorfkirche Leubnitz-Neuostra
Dorfkirche Leubnitz-Neuostra
Dorfkirche Leubnitz-Neuostra
Dorfkirche Leubnitz-Neuostra
Der Turm des so gelobten Bauwerks, ursprünglich als Wehr- und Schutzturm erbaut und schon 1170 in einer Urkunde erwähnt, weist noch Elemente der romanischen Architektur auf. Das mittelalterliche Kirchenschiff kam in den Jahren 1430-1437 hinzu; seine hölzerne Felderdecke wurde um 1671 im Stil des frühen Barocks bemalt. Der ebenfalls barocke Altar aus Sandstein stammt aus dem Jahr 1730; er prägt das Innere ebenso wie einige prächtige Epitaphe. „Die Kirche wurde im Krieg bewahrt und vereint Zeugnisse aus unterschiedlichen Epochen von der Romanik über die Spätgotik, die Renaissance und den Barock. Das macht sie zu einem Kleinod“, findet Wolf-Jürgen Grabner. Er klingt nicht wie jemand, der zu Übertreibungen neigt.
Aber nicht nur die Bewahrung von Schönheiten vergangener Zeiten, auch die Bedürfnisse der Gemeindemitglieder heute rechtfertigen die groß angelegte Rettungsaktion, die derzeit in Gang ist. „Sehr viele Menschen identifizieren sich mit der Kirche“, sagt der Pfarrer. „Die Bereitschaft, für ihren Erhalt zu spenden, war und ist überwältigend.“ 272.000 Euro weist das digitale Spendenbarometer in diesen Tagen aus. Grabner weist darauf hin, dass von den 1500 Spenderinnen und Spendern ein Drittel der Gemeinde angehört; „das bedeutet auch, dass Menschen von anderswo und solche, die ‚kirchenfern‘ sind, viel gespendet haben“.
„Gib festen Halt“ heißt die so erfolgreiche Aktion der Gemeinde. Herzstück ist ein Internetauftritt, dessen „Bautagebuch“ in Wort und Bild von den vielen Sanierungsschritten erzählt. Auch die vielen Presseberichte, die es inzwischen rund um das Projekt gegeben hat, sind dort gesammelt. „Bei der ersten Pressekonferenz vor zwei Jahren sind nur zwei Journalisten gekommen, das hat uns ziemlich enttäuscht“, erinnert sich der Pfarrer lächelnd. Aber die Berichte zogen weitere nach sich, „die Verbreitung der Misere bekam regelmäßige Resonanz“. Schöner Höhepunkt war ein Rundfunkgottesdienst zu Ostern 2019, bei dem der MDR auch Fernsehbilder live von der Baustelle streamte.
Auch mit Spendenbriefen und Flyern warb die Gemeinde um Unterstützung dafür, die Kirche „auch für kommende Generationen auf sichere Füße zu stellen“. Durchaus auch mit Einsätzen aus ebendiesen Generationen: Am Erntedanksonntag im Oktober 2020 zum Beispiel beteiligten sich Konfirmandinnen und Konfirmanden an der Initiative von zwei örtlichen Bäckereien und buken viele, viele Brote, die nach dem Gottesdienst gegen Spenden abgegeben wurden. Auch in den folgenden Monaten gab es die „Kirchenbrote“ mit dem Logo der Leubnitzer Kirche zu kaufen; Nahrung auch für die Spendenkasse.
„Wir haben als Kirchengemeinde und als Stadtgesellschaft eine Verantwortung für diesen Ort, an dem seit gut 900 Jahren die Frohe Botschaft verkündigt wird. Die Kirche ist uns von unseren Vorfahren übergeben und anvertraut und wird mit jeder Generation wertvoller“, erklärt Pfarrer Wolf-Jürgen Grabner das Engagement so Vieler. Nach der abschließenden Sanierung des Innenraums, bei der auch die Orgel gereinigt und die Deckenmalerei restauriert werden sollen, könnte die Leubnitzer Kirche Ende kommenden Jahres wieder so einladend sein wie zuvor. Auf die Wirkung der „alten neuen Kirche“ freut sich der Pfarrer besonders: „Die Musik und die Steine predigen auch! Wenn wir Menschen mit allen Sinnen angesprochen werden, öffnen wir uns noch einmal anders.“