„800 Jahre, das müssen wir würdigen“
Sanierung des mittelalterlichen Dachstuhls in Neukloster
Einst waren sie solide, die mächtigen Dachbalken der mittelalterlichen Klosterkirche St. Maria im Sonnenkamp im mecklenburgischen Neukloster. Anfang des 13. Jhds. wurde diese einzigartige Dachkonstruktion errichtet. Woher weiß man eigentlich so genau, wie alt das Holz ist?
Das Stichwort lautet „Dendrochronologie“, eine Zusammensetzung aus dem altgriechischen „dendron“ (Baum), „chronos“ (Zeit) und „logos“ (Lehre oder Kunde) – demnach die „Lehre von der Zeit eines Baumes“. Anhand der Jahresringe im Holz können Archäologen und Bauforscher dank moderner Computertechnik ziemlich genau bestimmen, denn in den Jahresringen spiegelt sich auch die Klimaentwicklung wider. Im Mittelalter verwendet man in der Regel frisch geschlagene Baumstämme, meist waren das Eichen. So lässt sich die Bauzeit für den Dachstuhl in Neukloster auf die Zeit zwischen 1244 und 1251 eingrenzen.
Bei der Instandsetzung von solch alten Konstruktionen schätzen sich die Fachleute glücklich, wenn ähnlich altes Holz in gutem Zustand noch vorhanden ist. „Das müssen wir würdigen. Wir werfen hier kein Stückchen Holz weg“, erklärte Bauingenieur Frank Thoms gegenüber der KiBa. Wo immer es geht, wird das Holz aus der Zeit der Romanik erhalten, zum Beispiel durch eingebaute Metallstützen.
Als Thoms 2013 erstmals die Klosterkirche besuchte, war der Dachstuhl „in einem traurigen Zustand und der Schutt aus Jahrhunderten türmte sich auf dem Dachboden“. 2017 holten der Bauingenieur und seine Leute in einer wahren Herkulesarbeit 47 Tonnen Müll vom Dach. Die großen Dachlasten hatten zu starken Beschädigungen geführt, Sparren waren gebrochen und manche Schwellen um bis zu einem halben Meter nach außen verschoben. Zahlreiche Verbindungen zwischen den Kreuzstreben über dem nördliche Seitenschiff und dem angrenzenden Vierungsbereich waren gerissen. Schwellen und Stichbalkenköpfe waren durch Pilze und Insekten beschädigt, denn durch die verschlissene Dachhaut war Feuchtigkeit eingedrungen. Damals konnte die ganze Konstruktion lediglich notgesichert werden.
Wechselbalken aus Stahl am nördlichen Querhaus
Sanierung der Schwellen - bestehende Substanz wurde weitestgehend beibehalten
Der echte Hausschwamm hat an der Dachkonstruktion des Treppenturms ganze Arbeit geleistet
Vor der Sanierung: undichtes Dach am Treppenturm
Nach der Sanierung ist das Dach dicht und fachgerecht an das Dach am Nordschiff angebunden
Fertiggestellte Dachrinne im Traufbereich auf der Westseite
Fensterbögen in der Nordostfassade: Putzfriese wurden restauriert
Fensterbögen in der Nordostfassade: Risse wurden geschlossen und Putz restauriert
Das sieht inzwischen ganz anders aus, denn Ende 2024 konnte das jahrelange Sanierungsprojekt abgeschlossen werden. Zwischen 2016 und 2021 hatte sich die Stiftung KiBa alljährlich an der Finanzierung der Großsanierung beteiligt. Auch der örtliche Förderverein hat unglaublich viel geleistet – ohne engagierte Menschen ist eine solche Mammutaufgabe wie in Kloster nicht zu schaffen
Wie entlastet man eigentlich so eine gewaltige Dachkonstruktion? Dazu wurden so genannte Wechselbalken aus Stahl auf beiden Seiten des Chordachs eingebaut, später auch an den südlichen und nördlichen Querhäusern. Man verbindet dann die Wechselbalken mit den gefährdeten Stichbalken, sie leiten dadurch die horizontalen Kräfte über Zuganker auf die andere Dachseite. Der Clou: hier wirken die gleichen horizontalen Kräfte in entgegengesetzter Richtung, so dass sie sich gegenseitig aufheben. Holzkonstruktion und Mauerkrone werden nicht mehr belastet.
Auch die Feuchtigkeit bleibt jetzt draußen, denn das Dach wurde neu eingedeckt. „Mönch und Nonne“ heißt das alte System. Dabei wird eine Schicht Ziegel mit der Höhlung nach oben und mit der zweiten Schicht mit der Höhlung nach unten verbunden, sodass ein regendichtes Dach entsteht. Das westliche Langschiff ist mit ölgetränkten Hartfaserplatten und einer zusätzlichen Dachbahn vor Niederschlägen geschützt.
Mit der dringend notwendigen Dachsanierung ist in Neukloster theoretisch der Weg frei für eine Innenraumsanierung - aber die Pläne dafür liegen noch in weiter Ferne. Vermutlich wird das Projekt noch Jahrzehnte dauern und viele Hunderttausende Euro verschlingen. Wirklich „fertig“ wird man hier nie sein. Aber das sei auch gut so, findet Sven Andresen, der seit 2018 Vorsitzender des Fördervereins und Baubeauftragter der Kirchengemeinde ist. Die Kirche sei für den Ort „sinngebend“, und solange hier gebaut werde, bekämen die Menschen das mit. Eine historische Kirche für sich allein ist wunderschön – doch ohne eine lebendige Gemeinde eben auch nicht mehr als das.