„Wir wollen nicht eines Tages auf eine Ruine gucken“
Seit 18 Jahren engagieren sich die Bewohner des Dorfes Polleben für ihre Kirche
Welche Gemeinsamkeit verbindet Boxprofi Timo Hofmann und Startrompeter Ludwig Güttler? Beide haben sich in den vergangenen Jahren für die „KiBa-Kirche des Monats September“ St. Stephanus in Polleben (Sachsen-Anhalt) engagiert. Während der ehemalige Deutsche Meister im Superschwergewicht – auch genannt: „die deutsche Eiche“ – im Jahr 2007 im Zuge der Fernsehsendung „Ein Dorf wird gewinnen“ für St. Stephanus warb (und mit dazu beitrug, dass sein Heimatort am Ende 50.000 Euro Preisgeld von der Stiftung KiBa erhielt), kam Güttler etwa ein Jahr später zu einem Benefizkonzert nach Polleben; sein virtuoses Trompetenspiel brachte 9200 Euro an Spenden.
St. Stephanus Polleben
St. Stephanus Polleben
St. Stephanus Polleben
St. Stephanus Polleben
St. Stephanus Polleben
St. Stephanus Polleben
„Wir sind sehr froh über jede Unterstützung“, sagt Antje Ehnert von der Fördergemeinschaft zu Entwicklung der Dorfkirche zu Polleben e.V. und sie meint damit nicht nur die prominenten Förderer: Auch die Stiftung KiBa stellt in diesem Jahr 36.000 Euro für St. Stephanus zur Verfügung. Seit 18 Jahren wirbt der Verein, deren Vorsitzende Ehnert ist, um Spenden. Und auch wenn sie die Restaurierungsarbeiten jetzt schon auf der Zielgeraden sieht, weiß sie, „es werden wohl auch noch ein paar Jährchen hinzukommen.“ Was motiviert die Pollebener zu diesem unermüdlichen Einsatz für St. Stephanus? Die mächtige, aus grauem Sandstein erbaute Kirche ist zweifellos ein imposantes, alle anderen Gebäude im Ort überragendes Bauwerk. Mit ihren 111 Jahren ist sie aber durchaus nicht die älteste Kirchenschönheit im ganzen Land. Und: Seit dem Jahr 1972 finden in St. Stephanus keine regelmäßigen Gottesdienste mehr statt: Vollsperrung wegen akuter Einsturzgefahr der Gewölbedecken. Woher also kommt die Kraft für die Kirche? Antje Ehnert muss nicht überlegen: „St. Stephanus ist nicht außerordentlich wertvoll im eigentlichen Sinn“, sagt sie, „aber die Kirche hat einen großen Wert für uns Bürger. Sie gehört einfach zu diesem Ort, so lange wir denken können. Und wir wollen nicht eines Tages auf eine Ruine gucken, sondern wir wollen wieder Gottesdienste feiern und einen Raum für Veranstaltungen haben.“ Eine Herzensangelegenheit also.
Das Interesse für ihre Kirche hatten die Pollebener von Anfang an. Zur feierlichen Einweihung im Jahr 1901 kamen rund 700 Besucher in das für 500 Personen gedachte Gebäude. Ob die Kirche auch in den folgenden Jahren überfüllt war, ist nicht überliefert. Klar ist dagegen, dass nicht dauerhaft übergroßer Andrang, sondern die langsame und ungleichmäßige Senkung von St. Stephanus in den Boden die Schäden an der Kirche verursachte, die sich schon nach wenigen Jahren in Form von Rissen im Gestein zeigten. Alle Versuche, das Gewölbe zu stabilisieren, schlugen fehl; 1954 wurden sogar Abriss und Wiederherstellung des mittelalterlichen Vorgängerbaus erwogen. Kostenvergleiche ergaben aber, dass eine Instandsetzung der neuen Kirche weniger teuer wäre. Indessen verschlimmerte sich deren Zustand. Da einzelne Steine der Gewölbe herauszubrechen drohten, wurde 1966 zunächst der Altarraum gesperrt, sechs Jahre später die gesamte Kirche.
Wer glaubt, dass die Pollebener sich nun in ihrem Leben ohne St. Stephanus einrichteten, irrt: Sie gaben nicht auf: Zunächst beantragten sie die Aufhebung der Sperrung – vergeblich. 1994 schließlich wurde der Förderverein gegründet, und „von da an wurde Geld gesammelt“, weiß Antje Ehnert. Aus anfänglich sieben Mitgliedern sind inzwischen fast 50 geworden. Kein Wunder, dass es auch mit der Kirche bergauf ging, in kleinen Schritten. 1996 konnte die Turmuhr erneuert werden, 2001 begann die Sanierung von Fenstern und Türen. Ein Highlight im wahrsten Sinne war die Restaurierung des von örtlichen Handwerkern gefertigten Kronleuchters in 2004. Besonders freut sich die Vorsitzende des Fördervereins darüber, „dass die Setzungen inzwischen aufgehört haben, damit kommt das Gebäude zur Ruhe, das ist gutachterlich bestätigt.“
Seit vier Jahren wird nun auch das Kirchendach saniert. Zurzeit legen die Fachleute letzte Hand an das Gewölbe des Langhauses, im nächsten Jahr, hofft Ehnert, soll das Dach ein ordentliches Schieferkleid tragen. „Dann ist das Langhaus komplett fertig.“ 131.000 Euro wird dieser dritte Sanierungsschritt kosten, dann fehlen nur noch der Turm inklusive Dach und ein paar Verschönerungsarbeiten im Innenraum. Insgesamt rechnet die Gemeinde mit Sanierungskosten in Höhe von 475.000 Euro.
Mut macht den Gemeindemitgliedern der Umstand, dass mittlerweile zu besonderen Anlässen wieder Taufen, Trauungen oder Gottesdienste in St. Stephanus möglich sind – „per Sondergenehmigung“, wie Antje Ehnert verrät. Aber solange sie ihre Kirche nicht wieder regelmäßig nutzen können, werden die Pollebener die Hände nicht in den Schoß legen. Antje Ehnert hat schon jetzt ein Konto, auf dem das Geld liegt, dass für die Anpflanzung von Bäumen auf dem Gelände gesammelt wurde – „sobald die Gerüstarbeiten beendet sind“. Gerade fertig gestellt sind neue, leuchtend rote Sitzkissen für die Kirchenbank. Den Stoff hat ein Mitglied des Fördervereins kostengünstig besorgt, genäht haben Bürgerinnen ehrenamtlich – wir müssen immer gucken, wo was möglich ist.“ Schon länger läuft die Aktion „Fensterpatenschaften“, in deren Rahmen Spender die Instandsetzung einzelner Fenster(abschnitte) sponsern können. Für besonders engagierte Spenderinnen und Spender werden sogar Führungen in St. Stephanus organisiert. Denn: „Es ist wichtig, dass die Leute sehen, dass es voran geht, und wo das Geld hingeflossen ist.“