Ein Dorf gibt nicht auf
„KiBa-Kirche des Monats April 2023“ in Selben
Es ist eine Hoffnungsgeschichte, die sich in Selben ereignet. Die Dorfkirche des kleinen sächsischen Ortes, die aus dem Spätmittelalter stammt, war eigentlich schon dem Verfall preisgegeben. Die Fenster vernagelt, die Tür versperrt. Doch 2006 kam ein Wechselwind auf; einer, der bis heute anhält. Ob er jedoch genügend Kraft und Ausdauer hat, das Happy End für die Kirche zu schaffen, ist noch nicht entschieden. Fest steht aber, dass das ganze Dorf erfasst ist von dem Wunsch, das Gotteshaus wieder zum lebendigen Mittelpunkt zu machen.
„Das ist das Schöne an Selben“, sagt Pfarrer Daniel Senf, „alle sind hoch engagiert und wollen, dass die Kirche bleibt“. Der Theologe, der für 16 Gotteshäuser in der Region zuständig ist, schätzt die Selbener Dorfkirche besonders für ihre Integrationskraft. „Es gibt hier ein Neubaugebiet mit vielen jungen Familien, die in die Peripherie von Leipzig gezogen sind. Die Kirche schafft es, Alteingesessene und Neuzugezogene wunderbar zusammenzubringen.“
Um 1500 wurde das spätgotische Kirchlein erbaut und gehört damit zu den ältesten Gotteshäusern in Nordsachsen. Es trägt einen turmartigen, hölzernen Dachreiter über dem Westgiebel. Eine in die nördliche Chorwand eingelassene Sakramentsnische stammt aus dieser Entstehungszeit. Um 1700 erhielt die Kirche ihren damals modernen, aus Holz gefertigten Kanzelaltar im Stil des Barock, der bis heute erhalten ist.
Anders als die meisten anderen Dorfkirchen ist das Bauwerk in Selben aus Feldsteinen errichtet. In doppelter Weise grundlegend für seinen Lebenslauf: die in ein Gemisch aus Kalk und Sandstein eingebetteten Steine des flachgegründeten Fundaments. In dem morastigen Gelände der Region hatte sich diese Bauweise jahrhundertelang bewährt – bis der Braunkohle-Tagebau begann und der Grundwasserspiegel sank. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten der DDR zeigten sich die dramatischen Folgen des Bergbaus im Kirchengebäude: Der Fußboden senkte sich an einigen Stellen gefährlich ab, die Statik geriet ins Wanken. Die Gemeinde gab das Kirchlein auf.
Dorfkirche Selben von Südosten aus gesehen (c) Daniel Senf
Osterfeuer 2022 (c) Daniel Senf
Innenraum der spätgotischen Kirche (c) Daniel Senf
OpenAir-Benefizkonzert im August 2019 (c) Daniel Senf
OpenAir-Benefizkonzert im August 2019 (c) Daniel Senf
Altarraum in Selben (c) Daniel Senf
Benefiz-Konzert im März 2016 (c) Daniel Senf
Patrick Foelsch und Ralf Schmidt beim Arbeitseinsatz in Selben (c) Daniel Senf
Dann aber entschied man, doch Widerstand zu leisten gegen die drohende Übermacht von Verfall und Resignation. Der „Förderkreis Kirche Selben“ schloss sich zusammen, suchte und fand Gelder: Das Gebäude wurde notgesichert, das Kirchenschiff trockengelegt, das Dach neu eingedeckt und der Glockenstuhl restauriert. Dank einer anonymen Spende erhielt die Kirche sogar eine neue Uhr. Auch die KiBa unterstützte die notdürftige Sanierung des Gotteshauses im Laufe der Jahre zwei Mal.
So weit, so gut. Doch die Wiedereröffnung der Dorfkirche blieb nicht das letzte Kapitel der langen Geschichte. Auch als nach dem Ende der Braunkohle-Förderung der Grundwasserspiegel wieder anstieg, blieben Statik und Fußboden der Selbener Kirche in unguter Bewegung. Vor vier Jahren musste das Gebäude daher wieder geschlossen werden. „Aber die Menschen hier geben nicht auf“, sagt der Pfarrer.
Ein Konzept für die zweigleisige Sanierung - die Instandsetzung der Raumschale und die statische Sicherung des Bauwerks - ist erstellt; noch in diesem Jahr soll das Gestühl aus der Kirche entfernt werden, damit es losgehen kann. Einen Teil der Kosten übernimmt die Bergbaufirma LBMV, die Stiftung KiBa stellt 20.000 Euro zur Verfügung. Benötigt werden 117.500 Euro für den ersten Bauabschnitt, rund 450.000 Euro für insgesamt drei Abschnitte. Spenden, berichtet Daniel Senf, kommen mehrmals im Jahr insbesondere zu festen Terminen zusammen: „Zum Beispiel beim Osterfeuer erwarten wir mehrere hundert Menschen hier.“ Die Selbener liebäugeln außerdem mit einer Teilnahme an der MDR-Show „Mach dich ran“ in diesem Herbst, bei der Kirchengemeinden in den Wettstreit um Fördergelder der KiBa treten. Dem Gewinnerteam winken 200.000 Euro – „die könnten wir hier natürlich sehr gut gebrauchen“.
Und wenn die Hoffnungen sich erfüllen, die Gelder zusammenkommen und die Kirche ihre Türen wieder öffnen kann? Pfarrer Daniel Senf hat einen Traum: Er hofft, dass das Gotteshaus ein „Verwirklichungsraum“ für alle Generationen werden wird, dass es ein Ort der Begegnung bleibt „auch mit den Glaubens- und Hoffnungsgeschichten von Menschen, die zu früheren Zeiten in Selben gelebt und gebetet haben“. So könnte die Kirche zur Berührungsfläche werden „mit der eigenen Herkunft und mit christlichen Werten, die gerade jetzt so wichtig sind: Nächstenliebe und Demut“.