Von Brot, Quellwasser und Hufeisen
„Kirche des Monats April 2024“ in Gellmersbach
Wussten Sie, dass auch Kirchen Ketten tragen können? So ganz um das Gebäude herum? Einige wenige Gotteshäuser – vorwiegend in Österreich und Süddeutschland – tun dies jedenfalls. Ob die vor Jahrhunderten angelegten eisernen Kettenglieder als Schutz gegen Dämonen dienen sollten oder als besonderer Fassadenschmuck, ist nicht überliefert. Die meisten Kettenkirchen sind dem Heiligen Leonhard gewidmet, dem Schutzpatron der Gefangenen und des Viehs, dessen Attribut – na klar: die Kette ist.
Auch die Leonhardskirche im baden-württembergischen Gellmersbach ist eine dieser seltenen Schmuckträgerinnen. 384 Ketten- und 18 Verbindungsglieder umschließen das Bauwerk. Einer Sage zufolge sind sie aus Hufeisen geschmiedet. Demnach soll ein Graf, dessen verletztes Pferd durch das wundersame Wasser einer Quelle geheilt wurde, aus Dankbarkeit eine Kapelle nahe dieser Quelle errichtet haben. Ein Hufeisen an der Außenwand signalisierte: Hier ist eine Heilquelle. Mit der Zeit sollen sich dort viele Hufeisen, zurückgelassen von vielen dankbaren Pferdebesitzern, angesammelt haben. Ob sie der Stoff sind, aus dem die Kirchenkette in Gellmersbach geschmiedet wurde?
Fest steht jedenfalls, dass die Leonhardskirche sich auf einer Quelle befindet (was heute nicht nur Grund zur Freude ist) und ihr Fundament aus den Grundmauern einer Kapelle aus dem 13. Jahrhundert gebildet ist. 1525 wurde Gellmersbach samt Kirchlein zur Strafe für die Teilnahme am Bauernkrieg niedergebrannt; 1544 entstand am selben Ort die dann evangelische Leonhardskirche. Der Kirchturm folgte rund 120 Jahre später. Mitte des 18. Jahrhunderts wurden Kirchenschiff und -turm erhöht; aus dieser Zeit stammt vermutlich auch das alte Dachgebälk mit Teilen der Dachkonstruktion. Immer wieder bekam das Gebäude wegen des feuchten Untergrunds „nasse Füße“, Drainage- und Putzarbeiten waren regelmäßig vonnöten.
Leonhardskirche Gellmersbach
Leonhardskirche Gellmersbach
Leonhardskirche Gellmersbach
Leonhardskirche Gellmersbach
Leonhardskirche Gellmersbach
Leonhardskirche Gellmersbach
Leonhardskirche Gellmersbach
Leonhardskirche Gellmersbach
Leonhardskirche Gellmersbach
Auch der aktuelle Sanierungsbedarf der Leonhardskirche ist teilweise feuchtigkeitsbedingt, erklärt Susanne Weingart-Fink vom Kirchengemeinderat: „In den 70er Jahren wurde der Fachwerk-Anteil am Turm freigelegt und mit einer Lasur überzogen. Leider sammelte sich dahinter Feuchtigkeit, sodass das Material unter der Lasur bis zu einer Tiefe von zehn Zentimetern zerbröselt ist.“ Abgesehen vom Turm muss auch der Dachstuhl komplett erneuert werden. „Die Dachbalken haben teilweise einen Durchmesser von nur noch vier bis fünf Zentimetern. Dass man den Holzwurm einst mit DDT und anderen fragwürdigen Mitteln bekämpft hat, war offensichtlich keine gute Idee.“
Rund 435.000 Euro werden die Arbeiten an der Kettenkirche kosten. Die Stiftung KiBa fördert das Projekt mit 10.000 Euro. Die Ideen der Gemeindemitglieder zur Gewinnung von Spenden sprudeln nur so. „Es gibt das Leonhardsbrot, Leonhardswein, Marmelade, einen Kalender und einen Bastelbogen von der Kirche, die gegen Spende abgegeben werden“, berichtet Weingart-Fink. Die 60-Jährige, Kantorin in der Region Heilbronn und Leiterin von fünf Chören, engagiert sich auch selbst: Gegen Spenden führt sie Besucherinnen und Besucher durch die Kirche; auch Schulkindern versucht sie, die Geschichte der Kettenkirche nahezubringen.
Dass die Sanierung nicht wie geplant in diesem, sondern erst im kommenden Jahr beginnen kann, findet die Laienvorsitzende des Gemeindekirchenrats bedauerlich. „Aber wir versuchen, die Gemeinde bei der Stange zu halten“. In diesem Jahr zum Beispiel mit einer Wanderausstellung zum 500. Jubiläum des Evangelischen Gesangbuchs und mit kulinarischen Angeboten beim Fest der Winzergenossenschaft oder dem Tag des Offenen Denkmals. Dabei ist die Ausstattung ein großes Plus: „Weil es keine Bänke, sondern nur eine Bestuhlung im Kirchenraum gibt, ist dieser äußerst flexibel nutzbar. Seit 2004 können hier jährlich so auch Kunstausstellungen stattfinden“.
Die Leonhardskirche ist alles Engagement wert, sagt Susanne Weingart-Fink. Nicht nur der Kette, sondern auch der besonderen Atmosphäre wegen: „Einmal habe ich hier mit anderen Musikern gespielt, da brachte es einer von ihnen auf den Punkt. Er sagte: ‚Man spielt hier wie im Wohnzimmer‘. Es ist einfach eine kleine, heimelige Kirche“.