Eine „revolutionäre“ Sanierung
„Kirche des Monats Dezember 2022“ in Allstedt
Die Kirche St. Johannis Baptist in Allstedt (Sachsen-Anhalt) als „Kirche des Monats“ – vor knapp 500 Jahren wäre dies ein politisches Statement von einigem Zündstoff gewesen. Im Dezember 2022 ist mit einem vergleichbaren Aufschrei nicht zu rechnen, es bleibt aber die Ehrung eines prachtvollen Gotteshauses von historischem Interesse.
Dessen Bedeutung liegt vor allem an der Person Thomas Müntzer. Müntzer war ein Zeitgenosse und -zunächst - Bewunderer Martin Luthers. Dessen Thesen gingen ihm allerdings nicht weit genug. Müntzers Meinung nach durfte Luther nicht bei der Reformation der katholischen Kirche haltmachen – die gesamte soziale Ordnung sollte revolutioniert werden. Standesgrenzen und Leibeigenschaft hielt er für unchristlich, Adelige mit ihrem Luxus seien „Christo ain greuel“. Buchstäblich prophezeite er ihnen das „Schwert des Gerichts“.
Derlei Bibelauslegungen predigte Müntzer im Vorgängerbau der Kirche St. Johannis Baptist in den Jahren 1523/24 – auf Deutsch, was damals für sich genommen schon revolutionär war. Die anwesenden Adeligen dürfte das wenig amüsiert haben. Die zu Tausenden anreisenden Zuhörer der niederen Stände waren jedoch offenbar begeistert, denn wenig später war Müntzer einer der Anführer der „einfachen Leute“ im Deutschen Bauernkrieg. Damit machte er sich endgültig zum Todfeind der herrschenden Schicht. Nach einer verlorenen Schlacht wurde er gefangen genommen, gefoltert und hingerichtet. Bis heute ist Müntzer wohl die umstrittenste Person der Reformationsgeschichte.
Stadtkirche St. Johannis Allstedt
Stadtkirche St. Johannis Allstedt
Stadtkirche St. Johannis Allstedt
Stadtkirche St. Johannis Allstedt
Stadtkirche St. Johannis Allstedt
Stadtkirche St. Johannis Allstedt
Stadtkirche St. Johannis Allstedt
Stadtkirche St. Johannis Allstedt
Der „Neubau“ der Kirche von 1765 lässt von dieser bewegten Geschichte auf den ersten Blick wenig erahnen. Als Vorzeigebau des Thüringer Rokoko zieht er gleichwohl zu Recht Touristen an. Das Gotteshaus ist daher täglich geöffnet, Gemeindeglieder bieten sogar Führungen an. Der einheitliche Innenraum mit dreischiffiger Wirkung besitzt im Mittelschiff eine hölzerne kassettierte Muldendecke. Prägend ist der mit Stuck überzogene, bauzeitliche Kanzelaltar. Die große Strobel-Orgel auf der Westempore mit über 6.000 Pfeifen stammt ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert.
Wer danach sucht, findet vereinzelt aber eben doch noch Ausstattung aus den Zeiten Müntzers. So wird das Sandstein-Taufbecken der Vorgängerkirche bis heute genutzt. Und ein Teil des historischen Geläuts erklang bereits, als der revolutionäre Theologe zum Gottesdienst lud – es datiert auf 1345, 1577 und 1683. Schon für sich genommen machen diese geschichtlichen Zeugnisse einen Besuch in der Allstedter Kirche lohnenswert.
Die DDR entdeckte in Müntzer übrigens einen Helden des Klassenkampfes – bei näherer Betrachtung wenig überraschend. Er brachte es bis auf die 5-DDR-Mark-Banknote. Von denen benötigt sein heutiger Kollege, Pfarrer Martin Weber, so einige, um die umfassende Renovierung der Kirche zu finanzieren: Die Sanierung kostet insgesamt 670.000 Euro. Doch die Gemeindeglieder zeigten sich äußerst großzügig. Auch die Stiftung KiBa steuert 10.000 Euro bei. Zimmerer, Dachdecker und Dachklempner sollen nun im letzten Bauabschnitt das Dach des südlichen Turmanbaus auf Vordermann bringen. Den Abbau der letzten Gerüste wird die Gemeinde sicher angemessen feiern. Wer weiß, ob dann nicht noch die eine oder andere Predigt aus dem Gotteshaus in Allstedt in die Geschichte eingehen wird …