Der Reformationsreformer
Eine Stippvisite bei Wolfgang Huber
Er ist eine der großen protestantischen Persönlichkeiten unserer Zeit. Doch ist der 74-jährige Theologe nicht gewillt auszuruhen. Und da er längst niemandem mehr etwas beweisen muss, spielt er frei auf bei einer Kür, die ihn um den Globus führt.
Zum Reformationsjahr ist Dampf auf dem Kessel: An der Haustür von Kara und Wolfgang Huber im Berliner Südwesten geben sich dieser Tage Journalisten die Klinke in die Hand. Alle wollen eine Einschätzung, einen Rat, einen Rückblick.
Der ehemalige Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz aber bleibt gelassen. Nonchalant empfängt er Gäste im engen Takt, um im Gespräch mit jedem Einzelnen doch ganz präsent zu sein: Seine Frau Kara habe den vierten Band ihrer Buchreihe zu den Kirchenhütern in Berlin und Brandenburg herausgebracht, berichtet er und hat die schweren Bände sogleich bei der Hand. „Dorfkirchen in Berlin und ihre Hüter“ lautet der Titel des letzten Bandes.
In den Dorfkirchen erblickt Wolfgang Huber eine ungeheure Chance, gerade im Hinblick auf Fremde und Flüchtlinge: „Wer hierherkommt und in jedem Dorf eine Kirche sieht, der muss doch bei dem, was er da sieht, denken: ‚Was ist das für ein christliches Land.‘“ Und wenn dann Gemeindegruppen sich der Einzelnen solidarisch annehmen, werde eingelöst, was die Kirche im Innersten vermag. „Transformation von Tradition“ nennt Wolfgang Huber das.
Ein typischer Ausdruck des Theologieprofessors, der druckreife Sätze im Stakkato produziert. Intellektualität als authentische Lebenshaltung ist selten zu finden – Herr Huber hat sie. Und er wirft sie mit innerlich lodernder Leidenschaft in die Waagschale, wenn es darum geht, seiner evangelischen Kirche einen zukunftsträchtigen Weg zu bereiten. Da sollte 2017 sein Jahr sein, denkt man. „Den Reformationstag 2017 hatte ich schon lange im Blick und mir standen die früheren Jubiläen 1817 und 1917 als nationale Feierstunden vor Augen. Mir war klar: Das muss diesmal ganz anders werden. Aus Gesprächen mit den politischen Spitzen wusste ich von deren Interesse an den Lutherstätten, doch die Inhalte mussten allein von der Kirche selbst bestimmt werden“, erinnert sich der einstige Ratsvorsitzende der EKD.
So entstand die Lutherdekade, die in diesem Jahr ihren brausenden Höhepunkt erreicht. Sind aber am Ende nicht doch viel Geklapper und wenig Inhalt dabei herausgekommen? – „Eine Sache ist nicht schon darum schlecht, weil ihr das Wort ‚Event‘ anhängt. Beeindruckende Erlebnisse sind für eine Kultur des Erinnerns unerlässlich“, kontert der Initiator, „und wenn ich die Programme etlicher Landeskirchen sehe: Da ist große Substanz.“
Bei so viel Identifikation ist er dann in diesem Jahr doch oft auf Auslandsreisen: Taiwan, Südafrika, USA, Neuseeland, Russland. Es zieht ihn dorthin, wo der Protestantismus gedeiht und so anders ist als im Stammland. Dort wollen sie hören, was er zu seinem Leib- und Magenthema, der Ethik, zu sagen hat. Umgekehrt will er viel von ihnen erfahren: „Unsere Kirche muss in ihren Formen und Ausdrucksmöglichkeiten wandelbar und flexibel sein. Das müssen wir lernen.“ Am 31. Oktober wird Wolfgang Huber, der auch der Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung Garnisonkirche Potsdam ist, in der brandenburgischen Hauptstadt predigen. Vermutlich geht es um Freiheit, um Verantwortung und mehr.
Thomas Rheindorf