„Campus Galli“: Mittelalterliches Kloster bei Meßkirch (Baden-Württemberg)
„Campus Galli“: Mittelalterliches Kloster bei Meßkirch (Baden-Württemberg)

Bauen wie die alten Mönche

„Campus Galli“ - ein mittelalterliches Kloster bei Meßkirch

Im „Campus Galli“ bei Meßkirch in Baden-Württemberg soll ein mittelalterliches Kloster entstehen. Handwerker und Freiwillige nutzen dabei ausschließlich Baumethoden, die im 9. Jahrhundert bekannt waren: ein historisches Experiment und zugleich eine Attraktion für Besucher

In den Baumwipfeln wispert der Wind, Sonnenfetzen huschen durch die Blätter und malen Muster auf den feuchten Waldboden. Es ist ein guter Tag für Lars-Ole Schmutz. Endlich keine regendicken Wolken mehr am Himmel. Der 33-Jährige mit braunen Koboldlocken und grobem Leinenhemd führt zwei Pferde aus dem Wald zum Acker. Ein Helfer greift die Zügel. Mit flinken Fingern spannt Schmutz die Pferde vor den einfachen Eisenpflug. Dann folgt er mit gekrümmtem Rücken, den Kopf tief über das Werkzeug gebeugt, den Tieren. Nach zwei Furchen ist sein Hemd schweißnass. Schmutz schnauft. „Dabei leisten die Pferde die Kraftarbeit“, sagt er. „Ich halte doch nur Kurs!“

Lars-Ole Schmutz arbeitet auf dem „Campus Galli“, einem Waldstück bei Meßkirch in Baden-Württemberg, etwa eine Autostunde von Friedrichshafen am Bodensee entfernt. Fest angestellte Handwerker und Freiwillige bauen dort eine mittelalterliche Klosterstadt mit allen Gewerken und Wirtschaftszweigen, die dazugehören. Sie arbeiten dabei ohne Strom und moderne Technik, nur mit den Werkzeugen und Mitteln des 9. Jahrhunderts.

Die Idee für das Klosterprojekt hatte der Journalist Bert M. Geurten, der historisch Interessierte um sich scharte. Heute ist „Campus Galli“ als Verein organisiert, finanziert von Spenden und den Eintrittsgeldern der Besucher. Rund 48 000 kamen im vergangenen Jahr.

Vom Wald her tönen ein Amboss und das monotone Schlagen einer Axt. Lars-Ole Schmutz ist gelernter Schäfer, auf dem Campus heuerte er als Tierpfleger an. Er führt die Ochsen, wenn sie Steine oder Holz zur Baustelle ziehen, versorgt die Schweine, Hühner und Ziegen. „Was wir machen, ist Händearbeit, mühsam, langsam, aber auch erfüllend und befriedigend“, sagt er. Für den Job zog er vom Norden Deutschlands in den Süden. Ihm gefalle, dass er Teil von etwas Größerem sei. Denn 40 Jahre wird es wohl mindestens dauern, bis die Klosterstadt vollendet ist. Warum dieser fast irrwitzige Kraftakt? „Wir gewinnen wissenschaftliche Erkenntnisse über die Lebensweise und Architektur der Karolinger“, sagt Erik Reuter. Experimentelle Archäologie nennt sich das.

Reuter, 46, der seine rot-blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hat, ist der verantwortliche Historiker des Projekts. Er erklärt, wie Puzzlestücke über die Jahre zu Bildern vom Mittelalter werden. Noch sind die Erkenntnisse gering. Ein Beispiel: Die Meßkircher Mörtelmauern überlebten den ersten Winter nicht. Reuters Leute experimentierten. Heute kennen sie das Rezept, nach dem die Menschen im Mittelalter wohl Kalk, Ziegelmehl, Sand und Wasser mischten.

Die größte Erkenntnis aber wird sein: Mit Abschluss des Projekts werden die Klosterarbeiter wissen, ob sich der Klosterplan, nach dem sie bauen, tatsächlich umsetzen ließ. Denn gebaut wird nach einer mittelalterlichen Architekturskizze, dem sogenannten St. Galler Klosterplan, den Mönche um 830 auf der Bodenseeinsel Reichenau entworfen haben. Ein Komplex mit 52 Gebäuden, der niemals realisiert worden ist. Der Klosterplan gilt als älteste Architekturzeichnung des Abendlandes. „Trotz der vielen Bauwerke, die zu dieser Zeit entstanden, ist kein anderer Bauplan aus dem frühen Mittel-alter erhalten“, erzählt Reuter.

Die Handwerkstechniken, die Men sehen des Mittelalters selbstverständlich kannten, weil Mönche sie an ihre Novizen und Väter und Mütter an ihre Kinder Weitergaben, müssen die Campus-Arbeiter mühsam erlernen. Sie bedienen sich alter Schriftstücke, diskutieren, ob der Schmied nun Eisennägel für die Kirche schmieden darf oder sie dort mit Holznägeln arbeiten. Manchmal braucht es auch Kompromisse. „Im Mittelalter hätten nicht Pferde, sondern Ochsen den Pflug gezogen“, verrät Lars-Ole Schmutz, der Tierpfleger. Doch die zwei Ochsen, die auf dem Campus leben, schaffen es nicht, nebeneinander zu gehen, „da hilft kein Training. Die Karolinger müssen schon Jungtiere trainiert haben“, vermutet Schmutz. Auch so ein historisches Puzzleteil.

Warum das St. Galler Klosterprojekt im Mittelalter nicht verwirklicht worden ist, lässt sich heute nicht mehr sagen. „Nimmt man es sehr genau, haben auch wir noch nicht angefangen, obwohl der erste Spatenstich im Juni 2013 war“, sagt Erik Reuter. Der Historiker steht auf einem breiten Forstweg, sein Finger deutet in den Mischwald, Fichten, Eichen, Buchen.

„Dort werden wir die Klosterkirche bauen, wie die Mönche sie im St. Galler Klosterplan entworfen haben.“ Ein monumentales 70 Meter langes Bauwerk, im Mittelalter hätten dort etwa 200 Menschen gebetet.

Noch aber ist es nicht so weit. Noch steht im Wald nur der Torso einer Holzkirche: 20 mal 35 Fuß, offene Wände, ungedecktes Dach. Mittelalterliche Kloster-städte waren Orte, die langsam wuchsen. Eine Gruppe Mönche baute eine Holzkirche, erst durch den Zuzug weiterer Glaubensbrüder und Handwerker entstand eine Klosterstadt und die Holzkirche wich einer richtigen Klosterkirche; so wird es auch auf dem „Campus Galli“ sein.

Schon jetzt gibt es jedoch auf dem Klosterbaugelände viel zu sehen und zu erleben. „Mit Ketchup!“, ruft ein kleines Mädchen auf dem Marktplatz, an einem Essensstand kauft es mit seinen Eltern eine Wurst. „Im Mittelalter gab es keine Tomaten, deshalb gibt es bei uns keinen Ketchup“, erklärt Sonja Thurner, Restaurantleiterin des Campus. „Gab es damals keine Kinder?“, fragt das Mädchen. Thurner lacht. Auch den Handwerkern werden Löcher in den Bauch gefragt. Der Schmied sieht im Halbdunkel seiner Werkstatt die Farbe seines glühenden Werkstücks und erkennt daran die Temperatur. Der Schreiner schnitzt aus kaminholzgroßen Holzscheiten Nägel, an guten Tagen schafft er 40 Stück. Die Korbmacherin stapelt kleinfingerdicke Weiden in ein Wasserloch, eingeweichte Äste brechen nicht beim Flechten.

Doch das Herz der Baustelle ist der Bauplatz der Holzkirche. In knapp vier Meter Höhe steht der Zimmermann Daniel Witschard-Schruttke, 33, auf einem Holzgerüst und schimpft wie ein Rohrspatz. „Da hält kein Netz!“ Witschard-Schruttke greift an den Seitenbalken des Gerüsts. Rund 15 000 Holzschindeln haben Daniel Witschard-Schruttke und die anderen Campus-Zimmermänner beim Schindelmacher bestellt. Doch bevor sie aufs Dach steigen dürfen, um es mit den Schindeln zu decken, müssen sie Sicherheitsnetze spannen: Heutige Bauvorschriften gelten auch für eine Mittelalter-Baustelle. Und jetzt ist ein Balken des Gerüsts zu niedrig! Ein Fehler, der Kraft kosten wird und Zeit. Witschard-Schruttke muss nun doch grinsen. „Wenn die Karolinger uns sehen könnten! Die würden sich amüsieren!“ Der Zimmermann arbeitet auf dem Campus, weil er mittelalterliche Techniken erlernen und wissen will, wie das geht: erst eine Kirche und dann ein Kloster allein mit Händekraft bauen.

Andreas Herzog, 44, nennt andere Gründe. Er ist Schreiner, Buchbinder und lebte bis vor zwei Jahren als Zisterzienser-Mönch, dann konvertierte er zum orthodoxen Christentum. „Bauten wir kein Kloster, sondern eine Burg, wäre ich an einem anderen Ort“, sagt er. Ein christliches Projekt aber ist der „Campus Galli“ nicht. Es gibt ja keine Gemeinde, die den Glauben dort aktiv leben könnte.

Und doch kann die Baustelle ohne den christlichen Glauben nicht verstanden werden. Vielen Menschen des frühen Mittelalters war die christliche Religion noch neu, sie etablierte sich in dieser Zeit aber immer stärker. Eine kirchengeschichtlich spannende Zeit.

Leise zirpt eine Harfe. Rasch greift Andreas Herzog, der Exmönch, in den braunen Schafslederbeutel an seiner Hüfte. Der Timer seines roten Handys zeigt 13 Uhr. Auf dem Campus ist Herzog der Herr über die Zeit, Handys sind bei den Arbeitern ungern gesehen. Also gibt Herzog an, wann die Arbeit anfängt, wann Pause ist und wann Amboss, Axt und Wollspindel abends verräumt werden. Zur Zeit der Karolinger hätte er dafür nach der Sonne geschaut. Im 21. Jahrhundert aber gilt auch auf einer mittelalterlichen Klosterbaustelle so etwas wie eine Regelarbeitszeit. Gemessenen Schrittes geht Herzog zur Tabula, einem Schallbrett, das den Tagesablauf der Mönche regelte. Er greift nach dem Holzhammer und schlägt den Gong.

Von Madlen Ottenschläger

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