Ort für große Emotionen
Mit Stadionpfarrer Eugen Eckert in der Commerzbank-Arena in Frankfurt am Main
Kirche und Fußball – in immer mehr großen Stadien passt das gut zusammen. In Frankfurt am Main lädt eine Kapelle in der Commerzbank-Arena seit neun Jahren Besucher ein. Fußballfans nutzen den kleinen Kirchenraum unter den Tribünen des Stadions gerne für Taufen und Trauungen.
Es ist kein guter Sonntag für die Eintracht. Am Vortag hat die Mannschaft gegen Leverkusen verloren, der Klassenerhalt für die Frankfurter scheint fraglich. Doch der Stimmung im Andachtsraum der Commerzbank-Arena tut das keinen Abbruch. „Einmal Eintracht, immer Eintracht“, beteuert James Coryell seine Treue zum Verein, auch wenn der fünfte Abstieg droht. Er hat ebenso wie sein Schwiegervater Heinz-Otto Seitz die schwarze Eintracht-Sportjacke angezogen. Sogar Töchterchen Zoey trägt das rote Adler-Emblem des Fußballclubs auf dem weißen Taufkleidchen. Die Familie ist zur Taufe eigens aus dem rund 50 Kilometer entfernten Büdingen angereist.
Seit neun Jahren amtiert Eugen Eckert als Pfarrer in der Stadionkirche der Commerzbank-Arena in Frankfurt am Main. Immer wieder kommen Menschen hier her, um sich trauen oder ihre Kinder taufen zu lassen. Zoey Coryell, neun Monate alt, ist der 88. Täufling seit Einweihung der Kirche im Jahr 2007. „Wir haben uns für diesen Ort entschieden, weil er einen Bezug zur Familie hat und wir uns eine individuelle Taufe zusammen mit unseren Verwandten und Freunden wünschten“, erklärt die Mutter der kleinen Zoey, Melanie Coryell. „Es ist eben etwas Ausgefallenes“, findet Sandra Hacke, eine Freundin der Familie, deren jüngste Tochter Ava, auch noch ein Baby, an diesem Festtag ein schwarz-rot gestreiftes Eintracht-Kleidchen trägt. Die Familie singt gern und laut mit, als der Pfarrer „Oh happy day“ und später „Danke“ anstimmt. „Große Momente und große Emotionen sind das Motto des Stadions“, hat ein früherer Gast ins Gästebuch der Kapelle geschrieben: „Das passt zu einer Taufe.“
Die Kapelle ist nicht leicht zu finden, man muss den VIP-Bereich queren, der unter der Haupttribüne gelegen ist. Auch die Fußballspieler kommen vor dem Spiel – anders als etwa bei der Kapelle des FC Barcelona – hier nicht vorbei. Es ist ein schlichter Raum, 90 Quadratmeter groß mit einem massiven Holzaltar, 600 Kilogramm schwer. Daneben hängt ein transparentes Kreuz aus Glas an der Wand. Das Schwere und das Leichte im menschlichen Leben habe der Stuttgarter Bildhauer Werner Pokorny symbolisieren wollen, heißt es in dem Arena-Kirchen-führer. Für die Besucher gibt es 25 Stühle, jeder ein Unikat, in Rot und Schwarz, den Farben des Fußballvereins.
Dass der Stadionpfarrer selbst Sportler ist, passt zu seiner Aufgabe. Mit mehr als sechzig Jahren kickt er noch immer in einer Altherrenmannschaft. In der Kapelle macht er alles allein: Er rückt die Stühle zurecht, zündet die Kerzen an, predigt, spielt auf dem Keyboard und stimmt auch die Lieder an. Das fällt ihm nicht schwer, denn Eckert ist Musiker und spielt in einer eigenen Band mit dem Namen Habakuk. Lieder, die er gedichtet hat – wie „Bewahre uns, Gott“ oder „Meine engen Grenzen“ – haben es sogar bis ins evangelische und katholische Gesangbuch geschafft. „Sehr lockerer Gottesdienst“ bescheinigt ihm ein Besucher im Gästebuch der Kapelle.
„Die Kirche muss dorthin gehen, wo die Menschen sind“, sagt Pfarrer Eckert. Im Mittelalter sei das der Marktplatz gewesen. Man sehe an den alten Ortskernen, dass Gasthaus, Kirche und Markt in unmittelbarer Nachbarschaft lagen. Heute versammeln sich weit mehr Menschen in Fußballstadien. Deswegen gibt es in den großen Arenen von Gelsenkirchen, Berlin, Wolfsburg und Barcelona inzwischen Stadionkirchen. Und eben auch in Frankfurt. Als das frühere Wald-stadion im Jahr 2002 umgebaut werden sollte, kam der damalige Geschäftsführer der Sportpark Stadion GmbH, Klaus Kroll, auf die Idee, einen Andachtsraum zu schaffen. Er hatte zuvor die neue Stadionkapelle auf Schalke in Gelsenkirchen besucht.
Der damalige Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Peter Steinacker, griff die Idee begeistert auf: Er war Mitglied im Beirat von Eintracht Frankfurt. Auch das Bistum Limburg beteiligte sich an der Finanzierung. Doch anders als für Protestanten ist die Stadionkapelle für die Katholiken keine Kirche, sondern nur ein Andachtsraum. Ein kleines Weihwasserbecken neben der Tür erinnert daran, dass die katholische Kirche die Kapelle mitträgt. Rund 51000 Zuschauer fasst die Commerzbank-Arena, das ist etwa die Einwohnerzahl von Landshut, Rheine oder Hilden. An den Wochenenden kommt da tatsächlich eine kleine Stadt zusammen, in der alle Milieus vertreten sind, vom Akademiker bis zum Hartz-IV-Empfänger.
Nicht nur Fußballspiele, sondern viele andere Veranstaltungen finden hier statt: Tagungen, Kongresse, Popkonzerte, politische Events, Feste großer Unternehmen. Alles Gelegenheiten für Begegnungen. Sportler, Fans, Logenmieter, Konfirmanden sowie Mitarbeiter und Gäste der Arena kommen zu Eckert in die Kirche, manchmal auch die Eltern der Kinder, die in der Sommerschule Fußball spielen.
Viele Besucher reisen gezielt an. Seit der Eröffnung der Kapelle im Januar 2007 zählte Pfarrer Eckert 300 solcher Gruppen. Da kommt die F-Jugend der JSG Ranstadt, die Kita Rappelkiste aus Lan gen oder das Team des Männerfrühstücks aus Bad Nauheim. Aber auch Kirchenvor stände, Lehrergruppen und Politiker. „Sie wollen mit mir im Gespräch sein über die Schnittstelle von Kirche und Sport“, sagt Eckert. Dabei gehe es etwa um Themen wie Korruption im Sport oder die Gewaltbereitschaft von Fans.
Am häufigsten kommen Konfirmanden. An diesem Dienstagnachmittag sind es Konfis aus Langen. Eckert spricht von Sieg und Niederlage; beide lägen nicht nur im Sport, sondern auch in der menschlichen Existenz nah beieinander. Man kann seiner Ansicht nach vom Sport lernen für das Leben. Anpfiff, Abpfiff – die Spielzeit sei begrenzt so wie das Leben auf der Erde, erklärt er den Jugendlichen. Analog zum Zeitrahmen eines Fußballspiels seien sie gerade mal in der 13. und 14. Minute ihres Lebensspiels. Geraune und Gekicher. Dann aber ward es plötzlich still im Raum: Held oder Loser sein, Foulspiel oder Fairplay, Erfolg und Misserfolg – das, wovon Pfarrer Eckert spricht, kennen die Konfirmanden aus eigener Erfahrung. Auch dass es einen Teamgeist, einen „spirit“ geben muss, damit man als Gruppe Erfolg hat.
Bei manchen Anlässen kann Pfarrer Eckert einen Gottesdienst auch direkt in der Arena feiern. Beim Public Viewing zum Beispiel, wie zuletzt während der Weltmeisterschaft 2014. Zur Europameisterschaft im Sommer dieses Jahres werden die Fans wieder einige Spiele auf der Leinwand im Stadion verfolgen können. Am 16. Juni – vor dem Spiel Deutschland gegen Polen – ist ein großer Gottesdienst geplant.
Von Kerstin Klamroth
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