Der Groß-Glockner
Schallendes und Klingendes aus Radebeul
Dem Blick sind sie ja meist verborgen und doch präsent, die Glocken: Jedes Kind kann eine malen. Dr. Rainer Thümmel hat sich auf sie eingeschwungen. Wer ihm lauscht, der versteht, dass sie zum Glauben gehören wie das Amen in der Kirche.
Die Kurzfassung von Schillers Glocke lautet ja: „Loch in Erde, Bronze rinn, Glocke fertig, bim, bim, bim.“ Ganz so einfach ist es aber nun doch nicht – uferloses Fachwissen tut sich um das klingende Metall auf: Eine Glocke ist gleichermaßen Gusskörper, Musikinstrument, liturgisches Gerät, Bauteil, Kommunikationsmittel, Kulturgut, Heimat und meist auch Denkmal. Rainer Thümmel ist Lotse in den Gestaden der Glockenkunde. Lange Jahre war er der Glockensachverständige der sächsischen Landeskirche. Doch der heute 79-Jährige entwickelte im Laufe der Jahrzehnte eine Leidenschaft für die Sache, die keinen Ruhestand kennt.
Schon in seiner Kindheit schlug dem Dresdener die Glocke der Apostelkirche die Stunde: „Sie bestimmte für uns Kinder dort praktisch den Aufenthalt im Freien. Wenn es abends um sieben läutete, ging es postwendend in die Wohnung, sonst gab es am nächsten Tag Ausgangssperre. Ich höre die Glocke heute noch!“ Viel später reüssierte er als promovierter Diplom-Ingenieur mit Schwerpunkt Metallverarbeitung in der DDR-Industrie.
Zunehmend kamen seine Lebenshaltung und die Bedingungen im Staate weniger überein, als sich 1985 eine Tür bei der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens auftat. So trat er beim späteren KiBa-Mitbegründer, Dr. Ulrich Böhme, im Dresdner Landeskirchenamt in Dienst. Bald wurden die Glocken zu einer über die Arbeitszeit hinausgehenden Begeisterung. Dabei verzeichnete Sachsen nach zwei Kriegen hohe Verluste am Glockenbestand. Know-how musste erst zurückgewonnen werden. „Das unübertroffene Material für die Glocke ist Bronze, für ihre Aufhängung, den Glockenstuhl, Holz“, lautet die lakonische Quintessenz der Koryphäe.
Rainer Thümmel zog und zieht mit nie erlahmender Freude durch die Gemeinden und klärt auf. Die Reparatur von Fehlkonstruktionen aus Eisen, wie sie sich noch immer reichlich finden lassen, hält er meist für rausgeworfenes Geld. Stattdessen verspricht er für ein fachgerecht ausgeführtes neues Bronzegeläut: „Da muss keine jetzt lebende Generation mehr ran.“ Und er macht Mut zur größeren Lösung: „Für Heimatglocken spenden viele gerne, auch wenn sie nicht mehr zur Gemeinde gehören.“
In Kärrnerarbeit schuf er mit „Glocken in Sachsen“ ein bislang unvergleichliches Standardwerk. Früh hat sich der besonnene Mann mit dem Verhältnis von Christen und Juden beschäftigt. In der DDR beinahe ein Tabu-Thema, findet er. Er engagierte sich beim Bau der neuen Dresdner Synagoge, ist heute Vorsitzender des Freundeskreises, der die Synagogengemeinde unterstützt. Die Gebetsglocke im neuen Geläut der Dresdner Frauenkirche trägt den Namen David und wird von einer Nachbildung des Davidssterns der alten Synagoge geziert. So ruft sie nicht nur zum Gebet, sondern auch zu Mahnung und Versöhnung. Unschwer zu erraten, wessen Initiative sie Widmung und Zier verdankt.
Von Thomas Rheindorf
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