Die Kirchenclownin
„Die Bibel steckt voller Humor!“ sagt Gisela Matthiae
Gisela Matthiae ist eine sympathische Theologin mit scharfem Verstand, klarer Sprache und fließenden Gesten. Frau Seibold ist eine schwäbelnde Clownin mit schrägen Ansichten, einmaligen Sprachspielereien und unnachahmlichen Grimassen. Eine Begegnung mit der einen, die ohne die andere nicht kann.
Frau Seibold kriecht unter die Kirchenbänke, beugt sich ins Taufbecken, schaut hinters Blumengesteck auf dem Altar – mitten in einem gut besuchten Gottesdienst. Die Besucher hören der Predigt des Pfarrers zu und hoffen zu erfahren, wie sie Gott finden können. Schließlich reicht es Frau Seibold scheinbar und sie unterbricht die Predigt: „Wenn ma’ genau wüsst, was ma’ sucht, dann tät ma’ ja vielleicht finde!“
Verkündigung als Clownsnummer, darf so was sein? Gisela Matthiae, die Frau in und hinter Frau Seibold, lacht. „Warum denn nicht? Die Bibel steckt voller Humor!“ Ernsthaft? „Aber ja, Scheitern, Fallen und Weitermachen gehört einfach dazu. So sind auch Clowns.“ Die 59-Jährige ist promovierte Theologin, vielleicht der etwas anderen Art: Den Mann mit weißem Bart im Himmel hat sie entlassen. Ihr kommt Gott heute eher wie eine lebensbejahende Clownin vor. Ein Bild, über das Fachkollegen und Gläubige erst mal stolpern.
Dieses Stolpern kommt Gisela Matthiae gerade recht, ist doch das Unrunde, Widerspenstige geradezu das Kerngeschäft der Clownerie. Sie haucht dem Genre etwas Kluges ein, weit weg vom bloßen Pausenclown. Slapstick ist ihr eindeutig zu wenig. Als freie Künstlerin, Publizistin und Ausbilderin von Clowninnen ist sie von allen einengenden Dienstverhältnissen befreit. Gottesdienste sind ihre Manege ebenso wie Kirchentage oder Kleinkunstveranstaltungen. Doch auch am Katheder oder im Seminarraum ist sie parkettsicher. Dass Frauen Theologie „können“, ist eine Binsenweisheit, dass sie auch „Clownin können“, da ist sich Gisela Matthiae sicher. Für die fruchtbare Verbindung beider Welten ist sie der lebendige Beweis.
Die Humortheologin verströmt „good vibrations“. Dieser Anglizismus liegt auch darum nicht fern, weil Gisela Matthiae ihre clowneske Initiationsgeschichte in den USA erlebte, wo sie zur eigenen Horizonterweiterung in Berkeley studierte. Dort wurde ein Festakt der Universität von bonbonverteilenden Clowns mitgestaltet. Sie durfte dabei selbst ins Kostüm schlüpfen: „Das war ein tolles Erlebnis, ich fühlte mich voller Energie und Lebensfreude!“, erinnert sie sich. Zurück in der Heimat besann sich die Pastorin der Stimmung und der glücklichen Augen, in die sie dort in Berkeley sah, wollte mehr davon und lernte das Handwerk eines Clowns professionell von der Pike auf.
Ihre entwaffnenden Analysen sind wortwitzig und ausdrucksstark – einerlei, ob sie als Clownin oder als Theologin spricht. Mal ist sie bühnenreif komisch, dann wieder eine gelassene Optimistin. Eine Optimistin mit Grenzen: „Doch, ja, ich kann auch sehr schlecht gelaunt sein“, sagt Gisela Matthiae und zeigt das entsprechende Gesicht, „wäre auch schlimm, wenn nicht. Auch Clowns durchleben ja alle Gefühlsfacetten.“
Steckt denn in jedem Menschen etwas Clownhaftes? „Ja“, ist sich die in Geislingen an der Steige geborene und heute bei Frankfurt lebende Schwäbin sicher, das muss man in sich entdecken. Die Techniken kann jeder lernen.“ Und dann lüftet die wandelbare Frau ein großes Geheimnis ihrer Lebenskunst: „Man muss sich selber ernst nehmen – aber nicht zu ernst!“
Von Thomas Rheindorf
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