Marienkirche Oberaudenhain in Nordsachsen
Marienkirche Oberaudenhain in Nordsachsen Marlies Kötting

Es wird Zeit, die Türen der Kirchen weit zu öffnen

Interview mit Dr. Catharina Hasenclever, Geschäftsführerin der Stiftung KiBa

Die Stiftung KiBa hat es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst viele evangelische Kirchen in Deutschland zu erhalten beziehungsweise instand zu halten. Das ist sicher eine Mammutaufgabe. Der Evangelische Immobilienverband Deutschland (eid) kam mit der Geschäftsführerin der Stiftung KiBa, Dr. Catharina Hasenclever, ins Gespräch. Übrigens: Der eid ist Fördermitglied in der Stiftung KiBa und setzt sich aktiv dafür ein, dass Kirchen erhalten bleiben.

eid news: Wie viele evangelische Kirchen in Deutschland benötigen Hilfe?

Dr. Catharina Hasenclever: Über 44.000 Kirchen gibt es in Deutschland. Von den gut 20.000 evangelischen Kirchen und Kapellen stehen fast 17.000 unter Denkmalschutz. Viele dieser Kirchen sind in gutem Zustand und stehen auch künftig für Gottesdienste und andere Veranstaltungen zur Verfügung. Es gibt allerdings auch immer noch zahllose Kirchen überall in Deutschland, die seit Jahren auf dringend notwendige Sanierungsarbeiten warten. Oft sind es sehr kleine Gemeinden, die mit den Herausforderungen des Kirchenerhalts an ihre finanziellen und organisatorischen Grenzen stoßen. Pauschal könnte man vielleicht sagen, dass bei rund einem Viertel der Kirchgebäude unmittelbar oder auf nahe Sicht Renovierungsmaßnahmen anstehen, die sich dann oft über Jahre hinziehen.

Welche Erhaltungsmaßnahmen sind bei den meisten Kirchen vordringlich notwendig?

Wenn es um den Erhalt der Gebäude geht, stehen die Maßnahmen an „Dach und Fach“ an erster Stelle. Solange das Dach nicht dicht ist und Wasser ins Mauerwerk eindringen kann, ist die Standfestigkeit des Kirchenbaus nicht gewährleistet. Ist der Bau dann äußerlich gesichert, kann die Gemeinde mit dem Innenausbau und gegebenenfalls mit der Planung für Heizung und Technik beginnen, das Inventar restaurieren oder die Wandmalereien sichern.

Wie hilft die Stiftung KiBa ganz konkret dabei?

Die Stiftung KiBa ist zunächst eine Förderstiftung. Wir unterstützen im Jahr rund hundert Baumaßnahmen zum Erhalt evangelischer Kirchengebäude mit einem Fördervolumen von ca. 1,5 Millionen Euro. Die Mittel der Stiftung KiBa können von den Kirchengemeinden als Eigenmittel angegeben werden, die wiederum für die Bewilligung von öffentlichen Mitteln notwendig sind. So kann eine vergleichsweise kleine Einzelförderung von 10.000 oder 15.000 Euro für die Gemeinde einen guten „Hebel“ für weitere Förderungen bedeuten.

Neben der finanziellen Unterstützung leistet die Stiftung KiBa Lobbyarbeit für den Erhalt der Kirchen. Wir zeigen erfolgreiche Umsetzungen oder auch Kirchen, bei denen noch viel Arbeit zu leisten ist. In den Reportagen unseres Magazins „KiBa Aktuell“ und im Jahresbericht der Stiftung ebenso wie auf den digitalen Kanälen berichten wir von „Best-Practice-Beispielen“ aus den Gemeinden. Inzwischen konnte die KiBa bei über 1.800 Baumaßnahmen an Kirchen unterstützen – da gibt es viel zu erzählen. So verstehen wir uns auch als Plattform für Ideen zur Kirchennutzung und als Ideen-Makler für die Gemeindevertreter. Andererseits sprechen wir tatsächliche und mögliche Spender an und vermitteln anhand der bisher in den Gemeinden erreichten Erfolge, wie wichtig der Kirchenerhalt auf dem Land wie in der Stadt heute ist.

Wie viele Kirchen sind so baufällig, dass sie nicht mehr gerettet werden können?

Solange die Kirchenmauern noch stehen und die Gemeinde ihre Kirche erhalten beziehungsweise auch für die Nutzung zurückgewinnen möchte, ist alles möglich! Natürlich gilt: Je früher in den Erhalt investiert wird, desto kleiner und damit günstiger die Schäden, die beseitigt werden müssen.

Die jüngsten Entwicklungen der Mitgliedschaftszahlen sind erdrückend. Die evangelische Kirche verzeichnete im vergangenen Jahr 380.000 Kirchenaustritte und 365.000 Mitglieder sind verstorben. Im Zuge dieser Entwicklung: Wie wichtig ist die Kirche als Gebäude und Mittelpunkt einer leider immer größer schrumpfenden Gemeinde?

Wir sind der Überzeugung, dass wir gerade jetzt unsere Kirchen dringend brauchen. Solange Menschen Orientierung suchen, solange Gemeinschaft gegen Vereinsamung hilft, solange wir Orte brauchen, um gemeinsam zu feiern und zu trauern, solange brauchen wir unsere Kirchen. Solange wir ressourcenschonend mit unserer Bausubstanz in Stadt und Dorf umgehen wollen und solange wir aus den Werken vergangener Generationen lernen können, brauchen wir unsere historischen Gebäude. Und überall, wo sich eine Gemeinschaft findet, diese Gebäude zu nutzen und zu erhalten, steht die Stiftung KiBa zur Unterstützung bereit.

Ohne ein gesamtgesellschaftliches Engagement allerdings wird diese Aufgabe immer schwieriger. So wird es Zeit, die Türen der Kirchen weit zu öffnen und jeden teilhaben zu lassen – Mitglied oder nicht. Jeder Bewohner im Umfeld einer Kirche sollte sich in ihr zu Hause fühlen können. Dann ergeben sich die Fragen von Engagement und Erhalt ganz von alleine.

Sie zeichnen ein hoffnungsvoll gestimmtes Bild. Was aber, wenn in Jahren oder Jahrzehnten die Kirche doch aus dem Dorf verschwindet, weil sich niemand mehr um sie kümmert?

Ich glaube nicht, dass das passiert. Meist sind die Kirchen im Dorf nicht nur die ältesten, sondern auch die größten Gebäude. Oft bieten sie den einzigen öffentlichen Raum für Gemeinschaft vor Ort. Niemand möchte auf diesen historischen Dorfmittelpunkt und auf die oft schon von weitem sichtbare Landmarke verzichten. Für viele ist das Läuten der Glocken eine unverzichtbare Selbstverständlichkeit. Wir sind immer wieder fasziniert von der Dynamik, die sich in einem Dorf entfalten kann, wenn es darum geht, die Kirche zu retten, die droht, wegen Baufälligkeit geschlossen zu werden.

Neu-, Um- und Nachnutzung von Kirchen ist ein großes Thema in vielen Gemeinden. Welche Erfahrungen machen Sie dabei? Spielen neue Nutzungskonzepte bei Instandsetzung und Renovierung eine Rolle?

Längst hat sich in den Kirchengemeinden die Erkenntnis durchgesetzt, dass man heute einen Kirchenbau kaum mehr für viel Geld erhalten und dann nur (wenige Male im Jahr) zu Gottesdiensten nutzen kann. Was uns besonders freut: Wenn die Menschen rund um die Kirche aus der genannten Not mit zunehmender Begeisterung eine Tugend machen. Oft könnte meinen, dass gerade die viel beschriebene Krise der Kirche neue Gemeinschaften auf den Plan ruft. Gemeinschaften, die sich häufig erst zusammenfinden, wenn es fast schon zu spät ist, und die sich dann mit gebündelter Energie aller Anwohner um die Zukunft der Kirche kümmern. Und dort, wo die Zeit dieser agilen Gemeinschaft heute noch nicht gekommen ist, dort sollten wir zumindest mit einfachen erhaltenden Maßnahmen das Überleben des Bauwerks sichern, damit spätere Generationen sich seiner wieder ermächtigen können. Wir schauen dem gesellschaftlichen Wandel im Blick auf die Kirche gespannt zu und bemühen uns unsererseits, die notwendigen Mittel zu sammeln, um Gemeinschaft und Gemeinde rund um die Kirchen in Deutschland unterstützen zu können.

Welche Konzepte zur Umnutzung von Kirchen beeindrucken Sie besonders?

In den letzten Jahren haben wir – nicht zuletzt über die Ausschreibungen zum Preis der Stiftung KiBa – fantastische Beispiele zur Umnutzung beziehungsweise Mehrfachnutzung von Kirchen kennengelernt. Alle diese Beispiele scheinen verschieden, und im besten Fall genau an die Bedürfnisse der Gemeinden vor Ort angepasst zu sein. So kann man die jeweiligen Konzepte nie hundertprozentig zur Vorlage für eigene Planungen nehmen. Aber sie können Inspiration geben und vor allem dazu motivieren, in der eigenen Gemeinde mit der eigenen Kirche den Weg einer Öffnung und Erneuerung zu gehen.

Letzte Woche war ich beispielsweise in der Heilandskirche in Leipzig-Plagwitz, die gerade zum Stadtteilzentrum „Westkreuz“ umgebaut wird. Die große Gründerzeitkirche bereitete der Gemeinde schon lange Probleme und deshalb wurde vor Jahren bereits eine Zwischendecke auf Höhe der Emporen eingezogen. Entstanden ist ein schöner Kirchraum. Das Untergeschoss – bis dato fensterlose, baulich völlig unattraktive Archivräume – ist nun an vielen Stellen geöffnet worden. In Absprache mit der Denkmalpflege, vor allem aber mit den Menschen im Stadtviertel, entstehen helle, moderne Multifunktionsräume, die über eine großzügige, einladende Treppe mit dem Kirchraum verbunden sind und ganz niedrigschwellig einladen, den Raum zu betreten.

Wir berichten im Jahresbericht 2022 ausführlich über dieses fantastische Projekt. Ende Oktober werden die Räume eingeweiht. Ich bin sehr gespannt, wie diese neue alte Kirche im Stadtteil angenommen wird. Schon jetzt weiß der Pastor, selbst wenn die großen Bauarbeiten dann abgeschlossen sind, bleibt ein gutes Projekt doch immer in Bewegung und kann auf die sich möglicherweise ändernden Bedürfnisse seiner Nutzer reagieren. So wie Kirchen auch in den vergangenen Jahrhunderten immer in Bewegung waren. Sehr selten finden sich heute solche Bauten, die seit ihrer Entstehung keine Erweiterungen, An- oder Umbauten erfahren haben, die nicht nach Zeitgeschmack und Anspruch immer wieder neu ausgestattet wurden. Eigentlich müssen wir diese gute Tradition nur in der Gegenwart weiterführen.

Das Interview führte Heiko Senebald, es ist erstmals auf der-eid.de erschienen.