Projekt „Herzschlag“ in St. Maria im Tale zu Nordhausen (Thüringen)
Projekt „Herzschlag“ in St. Maria im Tale zu Nordhausen (Thüringen) Nora Klein

„Herzschlag – Junge Kirche im Südharz“

Wie junge Menschen eine alte Kirche retten

Im thüringischen Nordhausen steht eine Kirche, die nur für Jugendliche da ist. Sie nennt sich „Herzschlag – Junge Kirche im Südharz“. Dort organisieren junge Leute in Eigenregie Gottesdienste, Treffen und Festivals. Ihr Engagement strahlt aus in den ganzen Kirchenkreis.

Seit Wolf-Johannes von Biela im Pfarrhaus oberhalb der Kirche St. Maria im Tale im thüringischen Nordhausen wohnte, sah er von seiner Terrasse aus, wie das Dach der alten Kirche sich immer mehr zu senken schien. Das leerstehende Gebäude aus dem 17. Jahrhundert drohte in sich zusammenzufallen, als ob die Mauern nicht mehr tragen wollten.

Noch immer schaut der 55­jährige Pfarrer der Gemeinde St. Blasii-Altendorf jeden Tag auf die Kirche, doch der Anblick hat sich verändert. An die Nordwand schmiegt sich ein flacher Anbau, der das alte Gebäude stabilisiert. Auch sieht von Biela oftmals Licht, das durch die Fenster der Kirche scheint. Wie an diesem Samstagabend, als von Biela mit der Reporterin den Kirchenraum betritt. Eine warme Beleuchtung empfängt die Besucher. Der Altar ist orangefarben beleuchtet, Lachen und leise Musik sind zu hören. In der Mitte des Raumes steht eine Tischtennisplatte, an der vier junge Leute lehnen und Notenblätter studieren. Auf einem Schaumstoffsofa sitzen zwei Frauen und stecken die Köpfe zusammen. Eine balanciert einen Laptop auf den Knien, die andere blättert in einer Bibel mit abgegriffenem Einband. Sarah Ewald, eine zierliche 26­Jährige mit langen blonden Haaren, legt die Bibel beiseite und grüßt die Besucher. „Wir haben nur noch eine Stunde Zeit, um den Gottesdienst vorzubereiten“, sagt sie entschuldigend, „Siggi wird euch begleiten.“

Popmusik dringt lauter durch eine der beiden Glastüren an der Nordwand der Kirche. Dort steht Leonard Zikmund, genannt Siggi, ein junger Mann mit mintgrün gefärbten Haarsträhnen. Der 23­Jährige studiert Soziale Arbeit und macht ein Praktikum in der Gemeinde. „Ich bin Mädchen für alles, ich organisiere, hole Material und schippe auch mal Schnee“, stellt er sich vor und winkt in den Anbau. Der recht eckige Raum wirkt wie eine Mischung aus Wohnzimmer und Seminarraum, es ist kuschelig warm. Eine Küchenzeile mit langem Tresen steht an der Stirnseite, wo eine Handvoll Jugendliche emsig Paprika und Zwiebeln schnippeln. In einem Halb kreis sind Sofas und Hocker vor einer Leinwand angeordnet, dort wuseln junge Männer und Frauen herum, prüfen Kabel und WLAN-Verbindung, andere sitzen auf einer Bank an der buckeligen Wand aus grob behauenen Steinen: Es ist die frühere Außenmauer der Kirche. „Der Anbau ist unser Lebensraum“, sagt Siggi und erklärt, dass gleich „Faithtime“ beginnt, der Jugendgottesdienst mit anschließendem Abendessen. 

Aus der baufälligen Kirche ist eine Heimat für Jugendliche geworden: das Projekt „Herzschlag – Junge Kirche im Südharz“. 2011 hatten sinkende Mitgliederzahlen und der Zusammenschluss der Nordhäuser Kirchengemeinden Altendorf und St. Blasii den Anstoß dafür gegeben. Die Synode des Kirchenkreises Südharz beschloss damals, die Altendorfer Kirche St. Maria im Tale als Jugendkirche zu entwickeln. „Eine andere Idee war, in der Kirche ein Kolumbarium einzurichten. Das wäre finanziell vielversprechender gewesen. Doch wir fanden eine Jugendkirche spannender“, erinnert sich von Biela. Das Besondere an dem Projekt, das den Namen „Herzschlag“ bekam: Die Jugendlichen wurden von Anfang an in den Umbau einbezogen. „Die jungen Leute haben die Bestuhlung abgerissen, Steinhaufen weggeräumt; und es kamen immer mehr und halfen. Dann haben sie erste Gottesdienste in der Baustelle organisiert, Scheinwerfer angebracht, Stühle rot angemalt“, erzählt von Biela. Seit 2016 erhält „Herzschlag“ eine Förderung durch die Initiative „Erprobungsräume“, mit der die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland die Entwicklung neuer Gemeindeformate unterstützt. So konnte eine Gemeindepädagogenstelle geschaffen werden.

Der neue Anbau stabilisiert die alte Kirche aus dem 17. Jahrhundert

Der neue Anbau stabilisiert die alte Kirche aus dem 17. Jahrhundert (c) Nora Klein

Gemüse schnippeln als Vorbereitung für den Jugendgottesdienst

Gemüse schnippeln als Vorbereitung für den Jugendgottesdienst (c) Nora Klein

Das Abendessen nach dem gemeinsamen Singen und Beten gehört dazu

Das Abendessen nach dem gemeinsamen Singen und Beten gehört dazu (c) Nora Klein

Der Bibel sieht man an, wie sehr sie genutzt wird

Der Bibel sieht man an, wie sehr sie genutzt wird (c) Nora Klein

„Faithtime“-Gottesdienst

„Faithtime“-Gottesdienst (c) Nora Klein

„Faithtime“-Gottesdienst

„Faithtime“-Gottesdienst (c) Nora Klein

Heimat für Jugendliche. Kicker und Tischtennisplatte haben hier ebenso Platz wie die Band, die für den Gottesdienst probt

Heimat für Jugendliche. Kicker und Tischtennisplatte haben hier ebenso Platz wie die Band, die für den Gottesdienst probt (c) Nora Klein

Heimat für Jugendliche. Kicker und Tischtennisplatte haben hier ebenso Platz wie die Band, die für den Gottesdienst probt

Heimat für Jugendliche. Kicker und Tischtennisplatte haben hier ebenso Platz wie die Band, die für den Gottesdienst probt (c) Nora Klein

Seit zwei Jahren hat Sarah Ewald diese Stelle inne. Für sie ist die Junge Kirche ein Ort, an dem Glauben vielfältig gelebt wird. „Hier ist kein Monat wie der andere“, erklärt sie. „Wir sind absolut frei in dem, was wir machen, ob bei Gottesdiensten oder Events wie Filmvorführungen oder Konfi-Festivals.“ Rund 35 junge Leute sind regelmäßig dabei, weitere 80 Jugendliche in drei Jungen Gemeinden, die aus der Arbeit des Jugendprojektes in der Region entstanden sind. Sie übernehmen Verantwortung, denn alles bei „Herzschlag“ läuft in Eigenregie. Da gibt es zum Beispiel die Technikgruppe für die professionellen Licht- und Tonanlagen, die Musikband oder die Küchencrew, bei der an diesem Abend Josephine Schwarze mitmacht. Die 19­Jährige liebt es, in ihrer Gemeinde zu sein. „Das Besondere ist für mich, dass wir diese Gemeinschaft selbst aufgebaut haben“, sagt sie. Felix Haas, der schlanke 18­Jährige, der die Cajón in der Band spielt, meint: „Ich finde es schön, dass hier immer ein freundliches Miteinander ist.“ Und Praktikant Siggi weiß, dass das Projekt nicht nur Jugendlichen zugutekommt: „Es kommen immer wieder ältere Menschen hierher, die in der Kirche getauft oder konfirmiert worden sind. Die Tür ist ja meist offen, da setzen sie sich zu mir und erzählen.“

Die bauliche Herausforderung, Altes und Modernes so zusammenzubringen, dass es sich ergänzt, hat das Thüringer Büro „B19 Architekten“ bewältigt, das 2015 mit dem zweijährigen Umbau begonnen hatte. Architekt Marc Rößling erinnert sich genau an den Zustand der Kirche. „Wir hatten es mit einer immensen Schiefstellung der Nordwand zu tun. Die hatte sich entwickelt, weil das alte Seitenschiff fehlte, das ursprünglich die Schubkräfte aus dem Dach abgeleitet hat. Daher haben wir einen Baukörper entworfen, der diese Schubkräfte wieder aufnimmt und zudem Licht in die Kirche lässt.“ Faszinierend fand Rößling den regen Austausch mit den jungen Leuten während der Bauphase. „Denen ging es sowohl um den Erhalt als auch darum, Neues zu schaffen“, sagt er. Ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit sei zum Beispiel der Holzblock, auf dem der Küchentresen ruht. „Es sind die Dielen aus dem Kirchen raum, die die Jugendlichen mit in den Neubau nehmen wollten.“

Im Anbau ist der Geruch von Zwiebeln und Paprika verflogen. Um halb sieben kommen alle zusammen, setzen sich in den Halbkreis. Mittlerweile sind es mehr als 30 junge Leute. Sarah Ewald eröffnet den Gottesdienst: „Fühlt euch wohl. Hier ist niemand höhergestellt als andere.“ Die Band spielt den Song „Waymaker“, der Text ist auf die Leinwand projiziert. Eine Frau trägt Gedanken zum Lobpreis vor, danach erarbeiten sie in Kleingruppen, was Lobpreis für jeden wohl bedeuten mag. Nach anderthalb Stunden, vielen Liedern und einem Gebet räumen sie Sofas und Hocker beiseite und tragen Tische hinein. Das Abendessen beginnt.

Das Projekt „Herzschlag“ strahlt weit über Nordhausen hinaus, weiß Pfarrer von Biela. Es sei anstrengend und nur mit finanzieller Unterstützung von der Landeskirche und weiteren Förderern wie der Stiftung KiBa zu realisieren gewesen, doch die Arbeit habe sich gelohnt. „Es blüht. Dahin muss die Kirche gehen.“ Der Kirchenkreis Südharz scheint auf diesem Weg zu sein: Jüngst hat er beschlossen, die Stelle von Sarah Ewald weiter zu finanzieren, wenn die Förderung durch die „Erprobungsräume“ in diesem Sommer ausläuft.

Von Katrin Wienefeld

Dieser Artikel erschien zuerst im Stifungsrundbrief "KiBa aktuell". Den können Sie auch kostenlos abonnieren, vier Mal im Jahr kommt er dann zu Ihnen ins Haus. Interesse? Dann melden Sie sich im Stiftunsgbüro - per Telefon, Post, oder E-Mail.