Stern, auf den ich schaue
Herrnhut? Das sind Sterne für die Freunde adventlicher Gemütlichkeit und Bibellosungen zur täglichen Schriftlektüre. Doch Herrnhut ist auch eine Kleinstadt ganz besonderer Art. Das Besondere sind die Menschen, die die Tradition des Ortes leben. Maria Elisabeth Winter ist eine von ihnen.
Ein Kleinwagen schaukelt gemächlich durch die Oberlausitz Richtung Löbau. Dahinter Maria Elisabeth Winter in einem gut motorisierten Kleinbus. Sie könnte (und würde wohl) deutlich schneller fahren, hält aber Abstand und deutet mit fragend gehobener Augenbraue auf das Heck des Vorausfahrenden, wo „Oack ne jechn!“ zu lesen ist. Polnisch? Tschechisch? Die Fahrerin lacht und klärt auf: „Oberlausitzsch. Das heißt: Immer mit der Ruhe! In Herrnhut sprechen wir aber hochdeutsch. Aus historischen Gründen. Es kamen und gingen zu viele Menschen aus aller Welt, als dass sich hier Mundart hätte durchsetzen können.“ So ist die Kleinstadt ein Eigengewächs in der Region.
Familie Winter betreibt eine seit 1833 in Familienbesitz befindliche Druckerei, mit Sohn Paul hat die sechste Generation übernommen (Motto: „Drucken für Gott und die Welt“). Was der Seniorchefin mehr Zeit für Engagements jenseits der Geschäftswelt eröffnet. Die Familie wurzelt tief in der Herrnhuter Brüdergemeinde, der weltumspannenden Kirche, die auf Graf Zinzendorf zurückgeht. Maria Elisabeth Winter ist als Persönlichkeit ganz aus diesem Wurzelstock hervorgegangen: Empathie, Kontaktfreudigkeit, Schnelligkeit und Fleiß sind Tugenden, die einen Christenmenschen fest im Leben stehen lassen.
Das tut die Mutter von sechs erwachsenen Kindern: „Große Familien sind hier ganz normal. Ich hätte vielleicht auch mehr Kinder, doch man muss ja auch Sorge tragen, dass etwas draus wird.“ Es wurde was draus, unter anderem können die Winters als Familienorchester (mit einem Dirigenten und einem Akkordeonspieler als Berufsmusiker) auftreten. Ein Instrument spielen zu können, das gehört für die 59Jährige einfach dazu – auch zu ihren Nachkommen. Mittlerweile kümmert sich die Geigenspielerin als zwölffache Großmutter mit Hingabe um die musikalische Erziehung der übernächsten Generation.
Dass sie dazu Zeit findet, ist ein Phänomen: Sie ist im Ältestenrat der Gemeine und in der Synode der Brüder Unität. Ach ja, im Förderverein des Gottesackers Herrnhut, des Friedhofs der Glaubensgemeinschaft, ist sie Vorsitzende. Zudem ist sie langjähriges Mitglied im Förderverein der Stiftung KiBa. Bei der diesjährigen Mitgliederversammlung führte sie Teilnehmer über den Gottesacker. Und war begeistert von der Atmosphäre: „Sonst hat man ja kaum einmal Gelegenheit zum Austausch.“
Kirchgemeindesaal in Herrnhut
Herrnhut: Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst
Herrnhuter Gemeindekirche
Eingang zum Gottesacker: Christus ist von den Toten auferstanden!
Einfache Grabsteine erinnern an die hier Bestatteten
Vor Gott sind wir alle gleich - im Leben und im Tode
Der Gottesacker ist ein wunderbarer Ort der Ruhe
Blick zurück vom Gottesacker in Richtung Herrnhut
An Vereinsmeierei zu denken, schösse bei ihr indes völlig am Ziel vorbei. Sie engagiert sich aus Freude an der Sache, aber eben auch aus Einsicht in die Notwendigkeit. Hat der Tag der Herrnhuterin mehr als 24 Stunden? Man könnte es meinen, doch es ist wohl mehr die unangestrengte Verquickung von Glaubensgrund, Lebenslust – und Unerschrockenheit, die sie zur personifizierten Zeitmanagerin macht.
Vor kurzem hat sie ein barockes Haus im „Herrnhuter Stil“ im Ortskern der Stadt gekauft. Es verwandelt sich gerade in ein Kleinod. Wo immer es geht mit ihrer eigenen Hände Arbeit. „Leider bin ich perfektionistisch“, seufzt sie, „aber wenn ich wieder eine Tür fertig habe oder ein Beet, dann ist das so schön.“ Schön ist, dass es Menschen wie Sie gibt, Frau Winter!
Von Thomas Rheindorf