St. Jakobi Hannover-Kirchrode mit dem Trecker unterwegs
St. Jakobi Hannover-Kirchrode mit dem Trecker unterwegs

„Toll, was wir geschafft haben!“

Was tun, wenn die Kirche nicht öffnen darf? Wenn Gottesdienste nicht erlaubt sind und die Gemeindemitglieder zu Hause bleiben müssen? Dann packt man eben die Kirche auf den Anhänger und fährt los. Oder man spricht die Predigt auf den Anrufbeantworter: Die evangelische Jakobi-Gemeinde in Hannover und die evangelische Gemeinde in Luckenwalde machen es vor.

Ostern – ja, da wird die Corona-Pandemie nicht vorbei sein. Und ganz normale Gottesdienste wird es auch nicht geben. Aber deshalb nicht Ostern feiern? Maren Wehmeier lacht bei dieser Frage. Fast spürt man die Vorfreude durch den Bildschirm, wenn sie von ihren Plänen für Ostern 2021 spricht: Das auf einen Treckeranhänger montierte große Holzmodell der Jakobi-Kirche wird aus dem Winterquartier beim Bauern geholt und kommt endlich wieder zum Einsatz, sowohl in der Osternacht als auch am frühen Ostermorgen. Dazu, wenn die Entwicklung der Infektionen es zulässt, vielleicht ein gemeinsames Ostereiersuchen, natürlich alles mit Hygienekonzept und AHA-Regeln, das haben alle gelernt.

Zu fünft haben sie sich an diesem Abend vor den Bildschirmen versammelt, um über ihre Arbeit in der Jakobi-Kirchgemeinde in Hannover-Kirchrode zu berichten: Vikarin Maren Wehmeier, Pastor Rüdiger Grimm, die beiden Jugendteamer Julius Fesefeldt und Oscar Rödinger sowie Richard Josi, Gemeindemitglied. Es gibt viel zu erzählen, denn so wie Interviews in Zeiten von Corona anders ablaufen, so mussten und müssen sich auch Kirchgemeinden umstellen. In Hannover startete die Transformation vor fast genau einem Jahr. Im März 2020 begann der erste Lockdown. Kirchen waren geschlossen, es gab keine Gottesdienste, auch nicht zu Ostern. Was also tun?

Zum Beispiel Briefe schreiben und allen Gemeindemitgliedern über 65 Jahren Hilfe anbieten. Diese Idee hatte das Jugendteam um Julius Fesefeldt. Zu sechst, manchmal auch zu acht waren sie tagelang im Einsatz. Sie verteilten 1600 Briefe mit Hilfsangeboten: „Wir gehen mit Ihnen einkaufen; wir holen Pakete ab; wir bringen Ihnen ein Buch aus der Gemeindebücherei.“ Dazu war eine Hotline eingerichtet, um Hilfen zu bestellen. „Die Resonanz war großartig“, erinnert sic h Pastor Grimm. Denn gerade im ersten Lockdown seien die meisten Senioren schwer verunsichert gewesen. „Viele“, so berichtet Oscar Rödinger, 15 Jahre alt, rückblickend, „trauten sich überhaupt nicht aus dem Haus.“ Da kamen die jungen Leute mit ihrem Lastenrad und der Zeit zum Helfen genau richtig. Sie ernteten nicht nur den Dank vieler Gemeindemitglieder: Das Projekt wurde auch ausgezeichnet mit dem Niedersachsenpreis für Bürgerengagement. Für die 1000 Euro Preisgeld will die Gruppe eine gemeinsame Reise finanzieren, wenn es wieder möglich ist.

Gottesdienste bietet das Jugendteam seit dem ersten Lockdown online an, einige gemeinsam mit Gemeinden in anderen Städten Deutschlands, einmal war sogar eine Jugendgruppe aus Pretoria/Südafrika live zugeschaltet. Der Höhepunkt im vergangenen Jahr war ein live gestreamter „Go@online“-Jugendgottesdienst: Über 1000 Menschen sahen zu, einige saßen am anderen Ende der Welt.

„Der Pastor ist ein heimlicher Tischler“

Pastor Rüdiger Grimm ließ die geschlossene Kirche nicht in Ruhe. Da gab es doch dieses Kirchenmodell auf dem Dachboden. Ein schönes Modell, aber viel zu klein. Wenn schon, denn schon, dachte sich Rüdiger Grimm und baute eine neue Mini-Jakobikirche, in der Pastor oder Pastorin stehend predigen könnten. Wie das ging? Julius Fesefeldt fällt dem Pastor am Bildschirm ins Wort: „Herr Grimm ist ein heimlicher Tischler.“ Tatsächlich wirkt die Kirche im Kleinformat auf dem Anhänger perfekt – und sie funktionierte optimal. Drei jeweils halbstündige Gottesdienste in den verschiedenen Bezirken der Gemeinde gab es am Heiligabend, mit Trompeten, Posaunen, Licht und der Weihnachtsgeschichte, alles live vom Anhänger aus, organisiert von vielen Ehrenamtlichen.

Einer von ihnen war der 38-jährige Richard Josi. Seine Ehefrau hat ehrenamtlich in den vergangenen Monaten bis tief in die Nacht hinein die digitalen Gottesdienste für das Internet aufbereitet. Am 24. Dezember war hingegen alles ganz „analog“, aber auch mit viel Arbeit verbunden. Jeder Gottesdienst musste als Versammlung bei der Polizei angemeldet werden; Ordner waren einzuweisen, Infoblätter zum Hygienekonzept zu verteilen, und Plätze mussten gesperrt werden. Hat es sich gelohnt? „Auf jeden Fall“, meint Richard Josi. Mit diesen „fahrenden“ Gottesdiensten habe man Menschen erreicht, die zu normalen Zeiten vielleicht nie mit Fremden zusammen gebetet hätten.

Gut 270 km weiter östlich sitzen an einem anderen Abend Pastor Jonathan Steinker, Diakonin Christina Conrad, Kirchenmusikerin Hanna-Maria Hüttner und Kirchengemeinderatsmitglied Jens Bärmann ebenfalls in einer Videokonferenz zusammen. Sie erzählen der Reporterin, was sie im brandenburgischen Luckenwalde alles auf die Beine gestellt haben, als es vor einem Jahr hieß: Die Kirchen bleiben geschlossen.

Der 35-jährige Jonathan Steinker trat sein Pastorenamt in der Luckenwalder Gemeinde, zu der fünf Kirchen und Kapellen gehören, fast zeitgleich mit dem Beginn der Pandemie an: am 1. Januar 2020. „Es war schon ein Schock, aber er hat auch viele Energien freigesetzt“, sagt er rückblickend. Kirchenmusikerin Hanna-Maria Hüttner fasst es noch konkreter in Worte: „Es gab auf einmal, in der Kirche und in unseren Köpfen, viele leere Räume – und die konnten wir füllen.“ Voraussetzung dafür war und ist ein flexibles Team. In Luckenwalde umfasst es viel mehr Köpfe, als für ein Videointerview auf einen Bildschirm passen. Sie alle zusammen entwickelten und entwickeln noch immer ein wahres Feuerwerk an Ideen.

Zum Beispiel die Zahnputzandacht auf dem Videoportal YouTube: „Wenn schon Predigt online, warum dann nicht so kurz, dass man sie sich beim Zähneputzen anhören kann?“, meint Jonathan Steinker. Das Format kam an, es gibt es noch heute. Ebenso die Möglichkeit, eine Predigt oder eine kurze Lesung über eine Festnetznummer via Anrufbeantworter abzurufen.

Kirche im Online-Modus

Während der Pandemie bieten die Kirchen Gottesdienste, Seelsorge und anderes online an. Die EKD hat Ideen und Angebote gesammelt: www.kirchevonzuhause.de. Auch das Internetportal „evangelisch.de“ hat viele Online-Formate zusammengetragen: www.evangelisch.de/inhalte/172021. Darunter war auch die Zahnputzandacht: www.evkirche-luckenwalde.de/medien.

„Weihnachten in der Tüte“ war noch so eine Idee des Slogan-affinen Teams. Die Luckenwalder packten Papiertüten für die Adventszeit und legten sie an sechs verschiedenen Stellen in der Stadt aus. Das Motto der Aktion lautete „Vom Suchen und Finden“. Die Idee war, nichts Gekauftes zu verschenken, sondern nur „Gefundenes“, und dazu zählte – Achtung, wirklich sehr skurril – eine große Ladung handgeschnitzter Holzpapageien aus Südamerika. Zu Hunderten hatten diese seit Jahrzehnten unbeachtet auf dem Dachboden des Diakonischen Werkes Teltow-Fläming gelagert. Nun wurden sie in die Tüten gepackt, zusammen mit einer Bastelanleitung zum Bemalen und einer kleinen Weihnachtsgeschichte, mit einem Fazit nicht nur für Kinder: Wenn sowieso schon alles anders ist bei diesem Weihnachten 2020, warum dann nicht auch mal ein bunter Holzpapagei für die Krippe? 

Und noch viel mehr haben die Luckenwalder auf den Weg gebracht: Diakonin Conrad nimmt sich mit einer Kollegin regelmäßig Zeit für ein „Gespräch am Fenster“. Zu festen Zeiten ist sie am Fenster des Gemeindehauses anzutreffen, um mit Spaziergängern zu plaudern und auch Beratungen anzubieten. Im letzten Sommer gab es dank einer großen Zahl von Ehrenamtlichen offene Kirchen in der Stadt. Das Jugendteam organisierte GPS-basierte Schnitzeljagden, bei denen Jugendliche mithilfe ihrer Smartphones Ziele suchen konnten. Und immer noch können ältere Menschen den Einkaufsdienst der Jugendlichen in Anspruch nehmen. Wie in Hannover macht man auch in Luckenwalde eine ganz neue Erfahrung, berichtet Jens Bärmann. Der 65-jährige gebürtige Luckenwalder weiß: „Durch die Mischung von digitalen und analogen Angeboten fühlen sich Menschen angesprochen, die zu normalen Zeiten den Weg in die Kirche nicht mehr finden.“

Und nun? Corona ist da und bleibt. Die Pandemie hat für zahllose Menschen schlimme Folgen. Aber solange die Ideen nicht ausgehen, macht die derzeitige Krise vieles möglich, was vorher undenkbar schien. „Das ist toll, wenn ich mir vor Augen führe, was wir alles geschafft haben“, bringt es Pfarrer Jonathan Steinker auf den Punkt. Auf die kommenden Monate schaut er optimistisch: „Ich fühle mich gerade richtig energetisiert.“

Von Dorothea Heintze

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