Von Kampf, Ansehen und Glück
Hildigund und Ehrhart Neubert opponierten einst gegen das DDR-Regime, dann halfen sie Stasiopfern
In einem Dorf am Südrand des Harzes lebt auf einem alten Bauernhof das Ehepaar Neubert. Einst opponierten sie gegen das DDR-Regime, dann halfen sie Stasiopfern. Heute bringen sie Gottes protestantische Flure zum Blühen. Zum Klößeessen in Limlingerode.
Es dampft aus Schüsseln mit Rotkohl, Klößen, Sauce und Braten. Vor dem Fenster wellen sich sanfte Hügel. Thüringen ganz und gar. Limlingerode - für Freunde deutscher Nachkriegslyrik kein unbedeutender Ort: Hier wurde Sarah Kirsch als Ingrid Bernstein geboren. Lange lag das Dorf hart an der innerdeutschen Grenze. Als es damit vorbei war, hielt 1991 ein VW-Bus im Ort. Unter den (zunächst) kritischen Blicken der Dorfbewohner entstieg ihm eine vielköpfige Familie, die sich für einen halb verfallenen landschaftstypischen Vierseithof interessierte: Die Neuberts hatten - aus Berlin kommend - ihren Heimathafen gefunden.
Das Gehöft wirkt heute wie eine Mischung aus Heimatmuseum, Familienwohnsitz und Gelehrtenrefugium: Nichts ist künstlich arrangiert, alles atmet Leben. Genau wie dieses ungleiche, doch gleich-gesinnte Paar, das heute hier ohne die Kinder lebt: Ehrhart und Hildigund Neubert. Der 77-jährige Hausherr war eine Galionsfigur der DDR Opposition. Ein unerbittlicher Regimekritiker, der mit Mut agierte, aber auch mit Umsicht und so (und wohl auch mit etwas Glück) Haft und Ausweisung entging. Äußerlich ähnelt der Pfarrer etwas einem bartlosen Arthur Schopenhauer, sein Geist ist hellwach, die Aura energiegeladen.
„Über meine Vergangenheit finden Sie ja alles im Internet. Ich möchte der Stiftung KiBa zeigen, wie wir hier die Kirchen wieder aufbauen!" - sagt der Pfarrer im (Un-)Ruhestand und wirft einen dicken Stapel Papiere auf den Tisch. Er erzählt von Arbeitseinsätzen, Gottesdiensten, Taufen und Festen in den von ihm betreuten Dörfern der Umgebung. Von Schutt und Bier und Blattgold. Zwischendurch reflektiert Ehrhart Neubert über Milieus und Werte, Motivation und Wandel. Der Mann, der mit dem Standardwerk über die Opposition in der DDR promovierte, ist ein Praktiker ebenso wie ein Wissenschaftler.
Hildigund, die in Weimar Gesang studierte, als er dort Studentenpfarrer war, ist zurückhaltender. Manchmal ergänzt die 20 Jahre jüngere Frau ihren Mann oder hilft weiter, wenn er nachfragt. Dabei spricht er ihren Vornamen zart wie ein Kosewort aus. Und bald wird klar – im Reich des Geistes gibt es kein Sondergut: Das Lebenswerk ist ein gemeinsames, ein „corpus permixtum" aus Glaube, Liebe und Weitsicht. Doch keinesfalls im Sinne von „Hinter jedem großen Mann..." Hildigund Neubert ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, war zehn Jahre lang Thüringer Landesbeauftragte für die Stasiunterlagen. Sie war Staatssekretärin in der Thüringer Staatskanzlei und ist Vizepräsidentin der Konrad-Adenauer-Stiftung. Und voll gelassenem Mutterwitz: „So, jetzt bediene ich mal das Bild der treusorgenden Pfarrfrau..." - und serviert den Kaffee.
Konzession ans Alter heißt für Ehrhart Neubert nicht kürzertreten, sondern nicht noch mehr machen: „Die Leute sehen, was hier passiert. Da hat man mich gefragt, ob ich noch ein Dorf dazu nehme. Aber irgendwo ist auch Schluss." Wie die beiden Thüringer zum Sachsen Graf von Zinzendorf stehen, ist nicht bekannt, doch treffender als mit seinen Worten kann man dieses Paar nicht beschreiben: „Herz und Herz vereint zusammen / sucht in Gottes Herzen Ruh“.
Von Thomas Rheindorf
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