Die Geschichte von der Weihnachtsgurke
So manch einer, der in diesen Tagen einen Weihnachtsbaum schmückt, hängt vielleicht auch eine gläserne Gurke auf und versteckt sie mehr oder weniger gut zwischen den Zweigen. Schließlich darf derjenige, der am Heiligen Abend die Gurke findet, als erster sein Geschenk auspacken. Sie kennen doch diese alte deutsche Tradition…?
Auf jeden Fall kennt man sie in den Vereinigten Staaten. Fragt man dort nach der „christmas pickle“ – also der Weihnachtsgurke – dann bekommt man allenthalben zu hören, was das doch für ein schöner altdeutscher Brauch sei und wie gerne man den übernommen habe. Es ist ja auch zu schön: gleich drei „typisch deutsche“ Vorlieben kommen zusammen: Weihnachten, Tradition und saure Gurken.
Und hier in Deutschland? Da sah es vor ein paar Jahren ganz anders aus. 2016 hat das britische Meinungsforschungsinstitut YouGov eine Umfrage gestartet: wie halten es denn die Deutschen mit der Gurkentradition? Das Ergebnis war reichlich ernüchternd, denn über 90 Prozent der Befragten hatten noch nie etwas von der Weihnachtsgurke gehört. Das erinnert – im Umkehrschluss – ein bisschen an den Silvester-Sketch „Dinner for one“, der sich in Deutschland großer Beliebtheit erfreut, in Großbritannien aber nahezu unbekannt ist.
Inzwischen ist der Bekanntheitsgrad der Weihnachtsgurke hierzulande gestiegen. Man kann sie auf fast vielen Weihnachtsmärkten kaufen. Vielleicht deshalb, weil man den Amerikanern eine Freude bereiten wollte, wenn sie denn jenseits des Atlantiks schon an eine „deutsche Tradition“ glauben? So kann man es zumindest im Internet nachlesen. Ob das wirklich stimmt und wo die Idee der Weihnachtsgurke ursprünglich herkommt, wird sich wahrscheinlich nie mit hundertprozentiger Sicherheit klären lassen.
Es gibt ein paar Theorien:
- Eine mittelalterliche Erzählung berichtet davon, wie drei spanische Jungen in einer zwielichtigen Herberge Rast machen. Der finstere Wirt stiehlt ihr Hab und Gut, bringt die drei um und stopft die Leichen in ein Gurkenfass. Zufällig ist der Heilige Nikolaus von Myra zugegen, der die Toten im Fass bemerkt und sie wieder zum Leben erweckt. Seitdem – so sagt es die Legende – wird dem Heiligen zum Gedenken eine Gurke in den Baum gehängt.
- Etwas profaner klingt die Geschichte aus dem Spreewald, der deutschen Gurkenanbaugegend schlechthin. Wirklich wohlhabend konnte man mit den eingelegten Gurken nicht werden – Theodor Fontane erzählt in den 1870er Jahren davon in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ – vielmehr seien viele Familien so arm gewesen, dass sie sich keinen anderen Christbaumschmuck als eben Gurken hätten leisten können. So mancher Gurkenbauer sei dann nach Amerika ausgewandet und dort zu Wohlstand gekommen. Im Gedenken „an die alten schlechten Zeiten“ habe er weiterhin Gurken in den Weihnachtsbaum gehängt.
- Und in den USA erzählt man sich, dass die Geschichte im amerikanischen Bürgerkrieg entstanden sei. Ein deutschstämmiger Immigrant sei nach seiner Gefangennahme und Inhaftierung fast verhungert. An Heiligabend habe er einen Wachmann um eine letzte Mahlzeit gebeten – eine saure Gurke. Die bekam er und überlebte. Im Gedenken an seine wundersame Errettung soll er dann die Tradition der Weihnachtsgurke eingeführt haben.
Vermutlich steckt am Ende aber nur raffiniertes Marketing dahinter. Im 19. Jahrhundert war der Gründer der amerikanischen Kaufhauskette Woolworth auf Deutschlandbesuch. Bei einem Thüringer Glasbläser entdeckte er kunstvolle Ornamente in Form von Nüssen und Früchten – und eben auch Gurken – zu einem guten Preis.
Der findige Unternehmer erkannte die Marktlücke. 1880 begann er, den gläsernen Baumschmuck in die USA zu importieren. Das Ganze brauchte nur noch eine gute Geschichte. Um den Verkauf anzukurbeln, erfand er kurzerhand die rührige „alte deutsche Tradition“. Der Erfolg war riesig – und der Rest ist Geschichte.