Der Lutherversteher
Christoph Kähler war Professor für Neues Testament in Leipzig und der letzte Bischof der Evangelisch- Lutherischen Kirche in Thüringen
Theologie ist sein Metier. Für die Leitung der Revisionsarbeiten an der Lutherbibel aber brauchte Christoph Kähler auch seine Talente als Kommunikator und Manager. Wenn am diesjährigen Reformationstag die „Lutherbibel 2017“ erscheint, ist das zu großen Teilen sein Opus magnum. Besuch bei einem Tatkräftigen
Viel ist über Martin Luther in der letzten Zeit geschrieben und geredet worden. Wohl keiner aber ist ihm aktuell so nahegekommen wie Christoph Kähler. Er war der „Leiter des Lenkungsausschusses zur Durchsicht der Lutherbibel“. Ein hölzerne Bezeichnung für den virtuosen Dirigenten einer vielköpfigen Ansammlung von Koryphäen, die im „wichtigsten Buch der Deutschen“ – so die Überzeugung des Theologen – den „alten Sound“ (Originalton Kähler) mit dem Stand der Wissenschaft vereinen. Am Reformationstag 2016 erscheint das Ergebnis der Mammutaufgabe, just in time, was bei Großprojekten hierzulande ja keineswegs selbstverständlich ist.
„Ich verliere nicht so gerne“, verrät der Stratege. Vers für Vers gingen die Expertengruppen den gesamten Bibeltext durch: Man verglich Luthers Ausgabe von 1545, die Revisionen des vergangenen Jahrhunderts und maß sie am Urtext, diskutierte, stritt, stimmte ab. Der Projektleiter war an so gut wie allen Entscheidungen beteiligt. So gründlich und reflektiert ist „Biblia: Das ist: Die ganze heilige Schrift: Deutsch / Auffs new zugericht“, wie der Reformator selbst titelte, noch nie auf Stand gebracht worden.
Der diskurs- und gremienerprobte Altbischof freut sich auf die Reaktionen – und rechnet mit Kritik: „Ich hoffe, dass sich genügend Leute interessieren. Das Interesse wird befördert, wenn es Streit gibt.“ Den einen, mutmaßt er, wird die behutsame sprachliche Rückführung zum „Luthersound“ nicht weit genug gehen, anderen könnte der neue Luther altbacken dünken. Das wäre gut so, findet er: „Je gleichmäßiger die Kritik von beiden Seiten kommt, desto eher haben wir dann vielleicht die mittlere Lage getroffen, die der Praxis noch dient, aber zugleich Luther wieder Luther-Text sein lässt.“ Für Spannung ist also gesorgt.
Das ist ganz im Sinne des gelernten Elektrikers. Nach dem Abitur verspürte der Sohn des in Greifswald lehrenden Lutherforschers Ernst Kähler den Wunsch, Pfarrer zu werden. Zunächst aber wollte er berufspraktisch in die Lebenswelt der Werktätigen eintauchen.
Als Student in Jena elektrifizierte er die erste Studentenkneipe. Später, als Pfarrer in Leipzig, fällte er eigenhändig Bäume, um sein Kirchendach wetterfest zu machen. Die Lust am praktischen Handanlegen hat sich der 72-Jährige erhalten: Einen Küchenherd schließt der dreifache Vater auch heute noch ohne Aufhebens an.
Gradlinig startete Christoph Kähler seine glänzende Karriere als Theologe: Der Neutestamentler erwarb sich in Leipzig den Ruf des präzisen Exegeten, machte sich später als analytischer Hochschulmanager einen Namen. „Alles, was ich vorher gemacht hatte, war wie eine Vorbereitung zum Amt des Bischofs in Eisenach.“ Von hier aus betrieb er die Gründung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland aus der thüringischen Landeskirche und der Kirchenprovinz Sachsen.
Christoph Kähler ist ein leidenschaftlicher Prediger und engagierter Kommunikator. Lebenslang hat er „dem Volk aufs Maul geschaut“ – auch wenn es in seinem „Sound“ feiner klingen würde. „Evangelium ereignet sich in der Begegnung“, ist sich der pragmatische Gelehrte sicher. Und ist damit dem Reformator ganz nahe.
Thomas Rheindorf