Rheinschiff unterwegs
Rheinschiff unterwegs Tom auf Pixabay

„Es kommt ein Schiff geladen“

400 Jahre alt ist der Choral - und noch immer beliebt

Die wunderbar eingängige Melodie von Choral Nr. 8 im Evangelischen Gesangsuch scheint prädestiniert zu sein für die „Königin der Instrumente“ und macht auf der Orgel – vor allem wenn es auf Heiligabend zugeht – immer eine gute Figur. Vierhundert Jahre ist das Lied inzwischen alt und damit einer der ältesten geistlichen Gesänge in deutscher Sprache. Und noch immer entfaltet es eine ganz besondere Wirkung. Das liegt auch am Bild des Schiffes, denn damit kann jeder etwas anfangen.

Aber: „Es kommt ein Schiff geladen“ birgt durchaus ein paar musikalische Herausforderungen. Nach den anfänglichen zwei ruhigen Zeilen in d-Moll im gemächlichen 6/4-Takt ändert sich am Ende der Strophe der Takt  und es geht vergleichsweise beschwingt im 4/4-Rhythmus weiter. So ein Taktwechsel kann die Gemeinde schon mal durcheinander bringen. Als Organist muss man sich dann durchsetzen.

Wo hat das „Lied vom Schiff“ eigentlich seinen Ursprung? Den Text hat mit ziemlicher Sicherheit Johannes Tauler verfasst,  der um 1300 ist in Straßburg als Sohn einer wohlhabenden Familie geboren wurde. Schon mit jungen Jahren schloss er sich den Dominikanern an und absolvierte eine Ausbildung zum Priester. In seiner Studienzeit traf er auf den großen Theologen und Philosophen des Spätmittelalters, Meister Eckhart – vermutlich ein besonders prägendes Ereignis.

1338 verließ Johannes Tauler das heimatliche Straßburg, ein Jahr vor dem Interdikt durch Papst Johannes XXII. Mit dieser drastischen Maßnahme – nämlich dem Verbot gottesdienstlicher Handlungen – erreichte der schwelende Konflikt zwischen der Kirche und Kaiser Ludwig von Bayern eine neue Eskalationsstufe. Straßburg stand zwar auf der Seite des Kaisers, aber die Dominikaner – und mit ihnen Tauler – waren papsttreu und verweigerten sich, die Messen für die Straßburger Bürger zu zelebrieren. Am Ende wurden die Dominikaner der Stadt verwiesen.

Tauler wirkte in Köln und in Basel und machte sich besonders für die Laiengemeinschaft der Beginen stark, einer Gemeinschaft von Frauen, die den traditionellen Ordensgelübden (Armut, Enthaltsamkeit und Gehorsam) folgten und vor allem karitative Tätigkeiten für Arme, Kranke und Sterbende verrichteten. Kirchlich anerkannt waren die Beginen jedoch nicht, man betrachtete sie als Laien. Johannes Tauler starb 1361. Heute gilt er vielen als „Vorbote der Reformation“. Ein Indiz dafür ist, dass Martin Luther sich lobend über Taulers Schriften geäußert hat.

Der Text vom Schiff, dass da geladen kommt, ist vermutlich in Köln entstanden. In der Rheinmetropole hat es sich als Wallfahrtslied lange gehalten. Die heutige Melodie findet sich in einer Handschrift von 1608. Daniel Sudermann (1550-1631) aus Lüttich ließ den Choral erstmals 1626 im „Straßburger Gesangbuch“ drucken und schrieb als Anmerkung dazu, dass es sich um einen „uralten Gesang“ handele, der unter den Schriften von Johannes Tauler gefunden worden sei.

In einer von Taulers Predigten gibt es eine Verbindung zwischen dem Choral und dem Paulusbrief an die Galater. Paulus schreibt dort: „Als aber die Zeit erfüllt ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz getan, auf dass er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.“ (Galater 4,4) Der Gottessohn kommt im Choral mit dem Schiff zu uns Menschen. Das passte für Tauler Zuhörer sehr gut, denn alle seine Wirkungsstätten Basel, Köln und Straßburg lagen am schiffbaren Rhein. Schwer beladene Lastkähne („bis an sein höchsten Bord“) waren ein hier ein vertrautes Bild.

Obwohl das Schiff eine ungeheuer kostbare Ladung trägt, ist seine Ankunft ganz unspektakulär. Es „geht still im Triebe“, ein Anker wird geworfen, „da ist das Schiff an Land“. Ganz allmählich, still und sachte kommt Christus in die Welt - man übersieht ihn beinahe! Und genau so spielt es sich ja auch in der Weihnachtsgeschichte ab: in einem schmutzigen Stall in einer der unbedeutendsten Städte Galiläas kommt ein kleines Kind zur Welt. Niemand beachtet es. Erst als die himmlischen Heerscharen den Hirten auf dem Felde die frohe Botschaft verkünden wird es richtig laut. Aber das ist eine andere Geschichte.

Das Schiff ist ein Sinnbild für die christliche Gemeinde. Es steht nicht nur für das Gebäude, in dem die Menschen zusammenkommen und Gottesdienst feiern – vielmehr symbolisiert es auch die Gemeinschaft selbst. Je nachdem wie stark und aus welcher Richtung der Wind bläst, kann er das Schiff jederzeit in schwieriges Fahrwasser bringen. Man braucht eine Menge an Mut, Wissen und Erfahrung – und natürlich auch ganz viel Vertrauen – um das Schiff sicher in den nächsten Hafen zu steuern.

Christliche Gemeinschaft inmitten der rauen Welt: das funktioniert nur mit der großen Liebe Gottes, die im Lied durch das Segel dargestellt ist. Es fängt den Wind auf und sorgt damit für Bewegung. Ein Schiff, das sich nicht bewegt, kann man nicht navigieren. „Der Heilig Geist der Mast“, er trägt das Segel und hält alles aufrecht. Wir dürfen Gottes Liebe gewiss sein.

„Das Wort will Fleisch uns werden,
der Sohn ist uns gesandt.“