„Macht hoch die Tüt!?“
Von der Faszination des ersten Adventssonntags
Anfang der 80er Jahre in einer hannoverschen Kirchengemeinde: traditionell wird hier am 1. Advent ein großer Familiengottesdienst gefeiert. Kinder und Jugendliche der Gemeinde haben wochenlang dafür geprobt, die Aufregung ist groß, die Faszination ebenfalls. Eine Erinnerung an früher.
Es gab Liederzettel auf den Kirchenbänken – das war schon eine Besonderheit, schließlich bediente man sich sonst immer der Gesangbücher. Und weil die Gemeinde sparen wollte, wurden die liebevoll mit Schreibmaschine erstellten und dann fotokopierten Blätter nach dem Gottesdienst wieder eingesammelt und im nächsten Jahr erneut verwendet. Dementsprechend sahen sie auch aus, aber vielleicht sollte da ja auch Tradition sein.
Ganz oben stand natürlich „Macht hoch die Tür“. Ein wunderbares Lied, das mir längst aus dem Familienkreis bekannt war, das ich gerne sang und das so viele wunderbar unverständlich-mysteriöse Textstellen besaß. Gleich in der ersten Strophe heißt es ja „derhalben jauchzt, mit Freuden singt“. Ein Wort wie „derhalben“ findet sich eher selten im Wortschatz von Kindern (auch in meinem nicht). Also stellte ich mir vor, der „Halben“ sei eine Person, die gar fröhlich und mit Freuden dieses Lied singt. In meiner Fantasie war „Halben“ jemand, der eher still war und wenig sagte, jetzt aber, wo „der König aller Königreich(e)“ angekommen war und man eigens die Tür für ihn hoch gemacht hatte, so richtig aus sich herauskam und mit voller Inbrunst seine Freude herausjauchzte. Ich konnte ihn gut verstehen und fand das toll!
Die vierte Strophe – ein so schönes Lied konnte meiner Ansicht nach gar nicht genug Strophen haben, und wenn ich heute den Text lese, klingt im Hintergrund die Orgel gleich mit – begann ja wieder mit „Macht hoch die Tür“. Und hier hatte der Liederzettelschreiber der Kirchengemeinde einen Tippfehler gemacht: statt „Tür“ stand da „Tüt“. Und natürlich sangen wir Kinder im Gottesdienst das genau so. Dieser wunderbare Triumph über die Erwachsenenwelt mit nur einer Silbe! Immerhin stand das genau so auf dem Papier, also musste es auch so gesungen werden, fanden wir. Das gedruckte Wort hat in der Kirche seit je her einen hohen Stellenwert.
Aber der Adventsgottesdienst warf neben aller (Vor)-Freude auch tiefer gehende Fragen auf. In seiner Predigt erzählte unser Pastor davon, wie Jesus in Jerusalem einzieht. Wie er zuerst seine Jünger losschickt, sie sollen nämlich einen Esel finden und ihn mitbringen. Dann wird es ein richtiger Triumphzug: das Volk jubelt, winkt ihm zu, streut Blumen… das muss richtig toll gewesen sein. Wer es nachlesen möchte, sollte Matthäus 21,1-9 aufschlagen.
Das war toll, erst diese fulminante Ankunft in Jerusalem, praktischerweise direkt am 1. Advent, wo auch alle Zeit hatten und sich auf Weihnachten freuten… Moment mal: Weihnachten? Da war doch was mit der Krippe? Wenn er in gut drei Wochen im Stall zu Bethlehem auf die Welt kommen sollte, wie kann er denn kurz vorher auf einem Esel in die Stadt reiten? Da musste ich sehr lange drüber nachdenken. Ich kam dann zu dem Schluss, dass all diese logischen Beschränkungen, die zu uns Menschen gehören, für einen wie Gottes Sohn nicht gelten. Der steht darüber. Wenn einer Wunder wirken und an Ostern sogar vom Tod wieder auferstehen kann, sollte es für ihn auch keine große Schwierigkeit darstellen, kurz vor seiner Geburt unter tosendem Jubel in Jerusalem einzuziehen.
Der Advent ist bis heute eine faszinierende Zeit geblieben. Sie ist die Vorfreude auf Weihnachten, auf die Verheißung, dass da einer kommen wird, der als Heiland unsere Welt erlösen wird. „Welt ging verloren, Christ ward geboren“ heißt es in einem anderen Weihnachtslied, das schon ganz leise anklingt. Aber noch ist es nicht soweit.
Wir wünschen Ihnen eine gesegnete Adventszeit!