St. Johannis Ellrich (Thüringen)
St. Johannis Ellrich (Thüringen) Ulf Gebler

Riesige Freude in Ellrich

Der „Goldene Kirchturm“ geht nach Thüringen

Die St. Johanniskirche hat den Förderpreis „Goldener Kirchturm“ gewonnen. Die Aktion der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) würdigt gelungene Modelle zum Erhalt und zur Nutzung von Kirchen. Erstmals gab es einen gemeinsamen Wettbewerb für ganz Mitteldeutschland, also Thüringen, Sachsen-Anhalt sowie Teile von Sachsen und Brandenburg.

Die Kriterien für den „Goldenen Kirchturm“ umfassen vor allem ehrenamtliches Engagement, Lösungen für langfristige Projekte, Vernetzungen mit Kommune und anderen Trägern sowie kreative Vorhaben für die Nutzung von Kirchen und Kirchenräumen. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und wird am 27. September 2025 in Naumburg durch Regionalbischof Tobias Schüfer übergeben, der auch als Vorstandsmitglied im Förderverein der Stiftung KiBa tätig ist. 

Eine Ruine erwacht zu neuem Leben

Am baumbestandenen Markt der kleinen Stadt steht die dreischiffige Hallenkirche, der man heute ihre wechselvolle Geschichte fast nicht mehr ansieht. Mehrfach wurde das Gotteshaus Opfer von Stadtbränden – der heutige Bau mit dem fast quadratischen Schiff wurde nach der letzten Feuersbrunst 1860 erbaut. Nach einem Blitzschlag wurden 1909 neue Glocken installiert. Doch ab Dezember 1957 mussten die Glocken aufgrund gravierender Bauschäden schweigen – ihr Geläut war amtlich untersagt. 

Zu DDR-Zeiten litt Ellrich als einzige Stadt im 5-km-Sperrgebiet stark. Viele Einwohner zogen weg. Der Abriss des Turms mit seiner Doppelspitze wurde von den DDR-Behörden gefördert, denn der Kirchturm galt als Symbol der Verbundenheit von Ost und West. „Von hier aus konnte man in den Westen sehen und wurde vom Westen aus auch gesehen. Und das wurde ab und zu genutzt, um mit Handtüchern oder anderen Mitteln sich zuzuwinken mit dem Signal: Ich bin hier, ich denke an dich“, erzählt Martin Bischoff, der im Kirchenbauverein als Vorsitzender aktiv ist.

Nach der Wende packten engagierte Ellricher Bürger aus eigenen Antrieb die Aufgabe an, die Kirche wiederaufzubauen. Der Kirchenbauverein Ellrich (früher Förderverein „Wiederaufbau Glockenturm St. Johannis in Ellrich“ e.V.) setzte sich unermüdlich für den Wiederaufbau ein.

2008 konnte die Kirche wieder eingeweiht werden – ein Meilenstein, der mit dem Thüringer Denkmalschutzpreis belohnt wurde. Gut 300 Personen haben im Inneren Platz. Der Kirchenraum lässt sich multifunktional anpassen für Konzerte, Tagungen, Lesungen, Ausstellungen, Workshops und Versammlungen. Eine leistungsfähige Medienanlage wurde installiert – aus Mitteln des Landes Thüringen und des EU-Regionalfonds. Das Raumerlebnis ist beeindruckend: Unverputzte Wände zeigen grobes Natursteinmauerwerk, meterhohe naturfarbene Raumelemente aus gefaltetem Filz sind im Kirchenschiff postiert. Sie kaschieren die Technik und halten die Akustik im Zaum.

St. Johannis zu Ellrich am Südharz (Thüringen)

St. Johannis zu Ellrich am Südharz (Thüringen) (c) Ulf Gebler

St. Johannis zu Ellrich am Südharz (Thüringen)

St. Johannis zu Ellrich am Südharz (Thüringen) (c) Ulf Gebler

St. Johannis zu Ellrich am Südharz (Thüringen)

St. Johannis zu Ellrich am Südharz (Thüringen) (c) Ulf Gebler

St. Johannis zu Ellrich am Südharz (Thüringen)

St. Johannis zu Ellrich am Südharz (Thüringen) (c) Ulf Gebler

Wiederaufbau des Turms

Am 30. November 2022 lag die Baugenehmigung für den Turm vor. Finanzielle Unterstützung kam unter anderem durch einen Förderbescheid über 3,1 Millionen Euro vom Land Thüringen, bereitgestellt aus dem Vermögen der ehemaligen Parteien und Massenorganisationen der DDR (PMO-Mittel).  Und den Grundstein für den Wiederaufbau hatten die Ellricher bereits selbst gelegt, als sie 2019 in der „Mach dich ran“-Show des MDR und der Stiftung KiBa 200.000 Euro für ihren „Traum vom Turm“ erkämpften.

Die Arbeiten am Fundament begannen am 9. Januar 2024 und am 23. September 2024 konnten bereits die vier historischen Glocken in die Glockenstube gehievt werden – im Mai 2022 waren sie vom Glockensachverständigen der EKM geprüft und für intakt befunden. Der neue Glockenstuhl aus Nadelholz ist so konzipiert, dass er gleichzeitig als Aussichtsplattform genutzt werden kann. Er ist über Treppen und einen barrierefreien Aufzug zugänglich.

Der 16. Dezember 2024 ist in die Geschichte von Ellrich eingegangen: die Turmspitzen sind waren fertig gestellt! Genau genommen ist der Turm ein eigenen Bauwerk, leicht abgetrennt von der Kirche. Das war baulich erforderlich und inhaltlich auch gewollt. Der Turm ist ein kommunales Zentrum und soll vielfältige touristische und kulturelle Zwecke erfüllen.

Ein weitere besonderer Meilenstein war das erste große Geläut aller vier Glocken am Karsamstag 2025 – ein beispiellos emotionaler Moment für alle, die diesem einmaligen Ereignis beiwohnten.

Hören Sie hier die Glocken von St. Johannis an Ostern 2025

Lebendiges Begegnungszentrum

Die Transformation der ehemaligen „Grenzkirche“ zur „Begegnungskirche“ hat nicht nur der Kirchengemeine gewaltigen Auftrieb gegeben – sie besitzt auch eine hohe politische Symbolkraft als Versöhnungszeichen. St. Johannis ist nicht nur Sakralbau, sondern entwickelt sich als offener Raum für viele Anlässe zum spirituellen und kulturellen Mittelpunkt für Ellrich und die ganze Region.

Die Wiederbelebung der St. Johanniskirche und der wieder aufgebaute Turm sind ein großartiges Zeichen für das „Wunder der deutschen Einheit“ und stärken das Vertrauen darauf, dass Zwang, Willkür und Teilung endgültig überwunden sind. Gleichzeitig ist Ellrich ein leuchtendes Beispiel dafür, wie ehrenamtliches Engagement und gemeinschaftlicher Wille Berge versetzen und buchstäblich Türme schaffen können.