Wahre Meister ihres Fachs
Zu Besuch in St. Wigberti Bilzingsleben
Eine historische Kirche zu restaurieren, das sagt sich so einfach. Damit es gelingt, braucht es echte Handwerkskunst und Experten wie Roberto Rode, Stefan Kallmeier, Lars Tukai und Sixtus Hermanns. Sie arbeiten mit großem Engagement an der St.-Wigberti-Kirche. Das haben wir uns mal vor Ort angeschaut.
Der Trennschleifer kreischt, der Staub spritzt – vorsichtig arbeitet sich Roberto Rode im runden Rahmen des historischen Maßwerkfensters vor. Er trägt eine Schutzbrille und gegen den Lärm Gehörstöpsel; auch Mund und Nase sind mit einer Maske bedeckt – nein, keine Corona-FFP2-Maske. Roberto Rode, 44 Jahre alt, ist Steinmetz und Bildhauermeister, und als solcher hat er viel mit Staub und Dreck zu tun. Er ist spezialisiert auf die Renovierung historischer Kirchenbauten. Einer von wenigen in Deutschland.
Heute arbeitet Roberto Rode in Bilzingsleben in Thüringen an der Fassade der historischen Dorfkirche St. Wigberti. Drei runde Maßwerkfenster hat er in den vergangenen Wochen restauriert. Der runde Bogen sieht zwar aus wie aus Beton gegossen, tatsächlich aber handelt es sich um massiven Seeberger Sandstein, der eine gute Behandlung verlangt.
Als die wuchtige Dorfkirche, deren Ursprünge bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen, vor gut 150 Jahren umgebaut wurde, hat man diese Fenster eingesetzt. Langhaus und Chor wurden damals abgerissen und neugotisch wieder aufgebaut. Leider, erklärt Rode, habe man das Fundament damals nicht ausreichend gesichert, mit dem Ergebnis, dass sich an einigen Stellen im Mauerwerk der Kirche im Laufe der nächsten 100 Jahre bis zu 20 (!) Zentimeter breite Risse gebildet haben. Seit Jahren ist die Kirche für die Öffentlichkeit gesperrt. Doch es geht voran. Zumindest das Dach und das Mauerwerk von außen sind in großen Teilen gesichert.
Mit einer Seilwinde setzt Rode ein Teilstück in das Rund des Fensters ein – auch hierbei ist Maßarbeit gefragt. Wichtig sind dabei seine Augen, seine Hände, die Erfahrung. Die Grundtechnik, mit der er und seine Kollegen arbeiten – Kolleginnen gibt es leider kaum –, ergänzt der Steinmetz, habe sich seit Hunderten von Jahren nicht verändert. Was hinzugekommen ist, sind die Maschinen, sagt Rode – „ ...und der Strom“, ruft eine Stimme von nebenan. Alle lachen.
Viel los ist heute in dem kleinen Dorf im nördlichen Thüringen. Mehrere Gewerke sind gleichzeitig auf der Baustelle, dazu einige Besucher, die Reporterin, die Fotografin, und sogar die Lokalpresse, die „Thüringer Allgemeine“, ist gekommen. Nur wenige Meter neben Roberto Rode steht der Maurer Stefan Kallmeier auf dem Gerüst und schiebt einen Schieferkeil unter einen 30 Kilo schweren Mauerstein als Abstandhalter zum nächsten Stein. Auch das wurde schon vor Jahrhunderten ähnlich gemacht – bis auf den Einsatz von Maschinen. Wie Rode arbeitet Kallmeier, 48 Jahre alt, bei der Firma BSW in Gotha; sie gehören zu den wenigen Spezialisten im deutschen Handwerk, die genau wissen, wie Kirchen denkmalschutzgetreu und trotzdem zeitgemäß restauriert werden.
Mit dem Herzen dabei
Was sie beide sehr bedauern: Es gibt kaum Nachwuchs. Lehrlinge, berichten sie, wollten es heute sauber und clean, nicht staubig. Dabei sei ihre Arbeit so kreativ, eigenverantwortlich, vielfältig. Jeder Schritt wird ausführlich dokumentiert. „Ich muss ja wissen, wie und wo der Stein genau saß, wenn ich ihn wieder einsetze“, erzählt Stefan Kallmeier. Das sei genauso wie bei einem Kfz-Schlosser: „Der kann den Motor nur wieder zusammenbauen, wenn er die Position jeder einzelnen Schraube weiß.“ Kfz-Meister haben ihre Montageanleitungen, Kallmeier kartiert mit Fotos und Stift. Woche für Woche fahren sie manchmal Hunderte von Kilometern durch Deutschland, von einer Kirche zur anderen. Was sie antreibt? „Die Handarbeit“, sagt Roberto Rode. Stefan Kallmeier bringt es auf den Punkt: „So was geht nur, wenn Sie mit dem Herzen dabei sind.“
Steinmetz Roberto Rode arbeitet am Maßwerkfenster
Bauingenieur Sixtus Hermanns (re.) ist seit Jahrzehnten erprobter Begleiter vieler Kirchenrenovierungen
Maurer Stefan Kallmeier sichert das Gewölbe der St.-Wigberti-Kirche
Kallmeier gehört zu den wenigen Spezialisten im deutschen Handwerk, die sich auf denkmalschutzgetreue Kirchenrenovierungen verstehen
Gruppenbild im Baugerüst
Erinnerung an die Corona-Pandemie: ein Stück Zeitgeschichte wird in die goldene Turmspitze eingesiegelt
Der Turm ist der älteste Teil von St. Wigberti, schon vor 1300 wurde mit dem Bau begonnen
Mit dem Herzen dabei ist an diesem Tag auch KiBa-Geschäftsführerin Catharina Hasenclever. Sie ist extra von Hannover angereist, denn Handwerker in Echtzeit zu begleiten ist so wichtig für die Wertschätzung einer guten Restaurierung. Die Kirche St. Wigberti kannte Catharina Hasenclever bisher nur aus den Unterlagen. Die KiBa fördert das Projekt schon länger – mit bisher insgesamt 130.000 Euro. Allein 100.000 Euro gab es für die umtriebige Gemeinde, als sie sich 2017 in das Finale im KiBa-Wettbewerb der MDR-Sendung „Mach dich ran – Spezial“ gekämpft hatte und den zweiten Preis errang.
Heute geht es der KiBa-Geschäftsführerin nicht ums Geld, sondern um die Leidenschaft der Menschen, die hier arbeiten. „Das Durchhaltevermögen aller Beteiligten ist fantastisch“, sagt sie. Keiner lasse sich von Rückschlägen unterkriegen. „Ich bin begeistert davon, wie sehr sich alle mit dem einen Ziel identifizieren: diese wunderschöne und einmalige Dorfkirche für die Nachwelt zu erhalten.“
Ein treuer und seit Jahrzehnten erprobter Begleiter vieler Kirchenrenovierungen der Stiftung ist Bauingenieur Sixtus Hermanns. 1959 kam er in Bleicherode zur Welt. Die Mutter war Gastwirtin, der Vater Bankkaufmann; eine wohl ganz gute Kombination für jemanden, der später einmal Baustellenteams, sowohl menschlich wie kaufmännisch, zusammenhalten wird. Der junge Sixtus ist Katholik und wird gefirmt, der erwachsene Sixtus Hermanns denkt, fühlt und arbeitet überkonfessionell. Schon vor der Wende interessierten ihn Kirchenbauten, seither macht er kaum noch etwas anderes, als Kirchen zu restaurieren.
Das ganze Dorf kämpft für den Erhalt seiner Kirche
Diese Arbeit ist eine Generationenaufgabe, meint Hermanns: „Wer sind wir, dass wir heute darüber entscheiden, ob ein Bau in 100 oder vielleicht 200 Jahren nicht mehr nötig ist?“ Gerade in einem Ort wie Bilzingsleben mit seinen knapp 700 Einwohnern spüre man, was für eine identitätsstiftende Kraft Kirchbauten entwickeln können. Das ganze Dorf habe für den Erhalt seiner Kirche gekämpft, ob nun in der Fernsehshow oder seit Jahrzehnten immer wieder bei Arbeitseinsätzen.
Tatsächlich reichen wenige Minuten des Gesprächs an der von Gemeindemitgliedern reich gedeckten Kaffeetafel im zugänglichen vorderen Teil der Kirche, um zu verstehen: Alle, die hier versammelt sind, vom Pfarrer bis zum Bürgermeister, vom Konditor, von dem der köstliche Kuchen stammt, bis zur Gemeinderätin, sie alle setzen sich mit gemeinsamer Kraft und zusammen mit den anderen Dorfbewohnern hochmotiviert für ihre Kirche ein.
Dachdeckermeister Lars Tukai repräsentiert ein weiteres wichtiges Gewerk bei Kirchensanierungen. Er hat heute die feierliche Aufgabe, die mit Blattgold geschmückte Spitze auf dem renovierten Chorfirst aufzusetzen.
Kurz bevor er über die schmale Turmstiege ganz nach oben klettert, haben die Zuschauer eine geniale Idee: zu dokumentieren, dass man mitten in der Corona-Zeit ist. Flugs wird auf einem Notizblatt ein kleiner Text verfasst, werden ein Corona-Selbsttest und eine Maske herbeigeholt, und schon hat der Dachdecker die historischen Beweisstücke in dem kleinen Hohlraum der goldenen Turmspitze verstaut. Vorsichtig setzt Lars Tukai die Chorspitzenkrönung auf. Das Gold blitzt und strahlt in der Sonne: ein kurzer Moment für alle Anwesenden in Bilzingsleben, ein hoffentlich weitere Jahrhunderte andauernder Anblick für alle unsere Nachkommen.
Von Dorothea Heintze