„Wie soll ich Dich empfangen?“
Die Adventszeit 2020 beginnt
„Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir, o aller Welt Verlangen, o meiner Seelen Zier?“ Von Paul Gerhardt stammt der Text zu einem der bekanntesten Lieder der Adventszeit. Am 29. November beginnt in diesem Jahr Adventszeit. Bis zu ihrer heutigen Form war es ein weiter und manchmal steiniger Weg.
Es fängt schon mit den Eckdaten an: wann beginnt eigentlich der Advent und wie lange dauert er? Vermutlich ab der Mitte des vierten Jahrhunderts hatte die Alte Kirche im Frühchristentum eine Fastenzeit festgelegt, die vom Martinstag am 11. November bis zum Epiphaniasfest am 6. Januar dauerte. Zunächst wurde an drei Tagen der Woche gefastet, später an allen Tagen mit Ausnahme von Sonnabend und Sonntag. Heute ist das kaum vorstellbar – ist doch die Adventszeit von vielerlei kulinarischen Genüssen geprägt und so manche Spezialität gibt es (eigentlich) nur in dieser Zeit.
Die adventliche Fastenzeit als Vorbereitung auf die Geburt Christi war mit vierzig Fastentagen die Parallele zur Passionszeit, die auf Ostern und die Auferstehung Jesu hinführt. Entwickelt hat sich diese Tradition zunächst in der Ostkirche, im Westen haben zuerst Spanien und das heutige Frankreich damit begonnen.
Insgesamt ist diese achtwöchige Zeit aber ziemlich ambivalent: zum einen herrscht die freudige Erwartung vor, das Christus Mensch wird. Das ist die frohe Botschaft, wie sie im 5. und 6. Jahrhundert aus Rom und Ravenna zu vernehmen ist. Gleichzeitig sprechen irische Missionare wie Columban von Luxeuil (nicht zu verwechseln mit dem Heiligen Kolumban, der Schottland missionierte) vom Jüngsten Gericht und von der Wiederkehr Christi zur Endzeit. So hört man es in Westeuropa. Damit wird die Adventszeit einerseits zur stillen Vorfreude und andererseits zur Einkehr und Buße. Diese Widersprüche finden sich noch heute in der Liturgie der Adventssonntage.
Wochensprüche bestimmen den Charakter
In der evangelischen Kirche bestimmen die Wochensprüche die Ausrichtung der Sonntage:
- Der 1. Advent erzählt vom Einzug in Jerusalem (Mt 21,1–11, Psalm 24). Wie sollen wir den Heiland empfangen? Paul Gerhardts Choral von 1653 in der Melodie von Johann Crüger (EG 11) wird gesungen, ebenso wie Luthers „Nun komm, der Heiden Heiland“ (EG 4) auf die Melodie des Ambrosius von Mailand.
- Der 2. Advent spricht von Erlösung und vom Kommen des Menschensohns (Lk 21,25–28): der Evangelist beschreibt sichtbare Zeichen an Sonne, Mond und Sternen – die Kräfte des Himmels werden erschüttert und das Meer tobt. „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (EG 7) ist die passende musikalische Begleitung dazu.
- Am 3. Advent betritt Johannes der Täufer als Wegbereiter die Bühne. „Bereitet dem HERRN den Weg, denn siehe, der HERR kommt gewaltig“, heißt es beim Propheten Jesaja (Jes 40,3.10). „Die Nacht ist vorgedrungen“ (EG 16) - von Jochen Klepper gedichtet von Johannes Petzold vertont - weist schon auf das nahe Weihnachtsgeschehen hin und erzählt vom Licht des anbrechenden Tages, das Paulus im Brief an die Römer beschreibt (Röm 13,11–12).
- Gewaltige Vorfreude herrscht am 4. Advent: „Freut euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“ (Phil 4,4.5b). Gesungen wird zum Beispiel „Nun jauchzet all ihr Frommen“ (EG 9), gedichtet von Michael Schirmer und von Johann Crüger vertont. Dieses Lied ist quasi das Gegenstück zum fast triumphalen „Macht hoch die Tür“ (EG 1), das vom „Herrn der Herrlichkeit“ erzählt, während Schirmer die Niedrigkeit Christi betont, der ohne stolze Pracht für uns zum Opfer auf einem Eselein daherkommt. Die Anspielung auf die Passion ist offensichtlich.
Der Straßburger Adventsstreit
Die vierwöchige Adventszeit hatten König Pippin und sein Sohn Karl der Große angeordnet, in der Tradition Papst Gregors des Großen, der im siebten Jahrhundert die Zahl der Adventssonntage auf vier festgelegt hatte. Sie sollten symbolisch an die viertausend Jahre zu erinnern, die nach der damaligen Auffassung zwischen dem Sündenfall und der Wiederkehr des Erlösers vergehen sollten. Wirklich befolgt wurde diese Regelung in der westlichen Kirche aber nicht, so manche Diözese hielten an fünf oder sechs Wochen Advent fest.
Konrad II., ab 1024 Kaiser des Ostfrankenreichs, sorgte 1038 für klare Verhältnisse: auf der Synode zu Limburg wurde in Anwesenheit des Kaisers beschlossen, dass es künftig nur noch vier Adventssonntage geben würde, so dass der erste Advent stets zwischen dem 27. November und dem 3. Dezember liegen müsse. Der Synodaltagung war der „Straßburger Adventsstreit“ vorausgegangen: auf der Rückreise von Burgund nach Goslar war Konrad II. bei seinem Onkel, dem Straßburger Bischof Wilhelm zu Gast, der just an diesem Tag – dem 26. November – den ersten Advent feierte. Nach Konrads Verständnis eindeutig eine Woche zu früh. Das verärgerte den Kaiser und er blieb dem Gottesdienst fern.
Als „Bewahrer des Christentums“ habe er sich verpflichtet gefühlt, in seinem Reich Einheit des Glaubens und gottesdienstlicher Praxis zu sichern. Schließlich würde womöglich Gott selbst infrage gestellt, wenn es keine Einigkeit in Glaubensfragen gebe. Andererseits wird man dem Kaiser aber auch ein gewisses Eigeninteresse unterstellen dürfen – mit Blick auf eine drohende Kirchenspaltung aufgrund des Adventsstreites haben vermutlich auch ganz handfeste politische Gründe eine Rolle gespielt, um die Einigkeit im Kaiserreich zu sichern.
Richtig rechtsverbindlich wurde das allerdings erst unter Papst Pius V. im Rahmen des Konzils von Trient im Jahr 1570. In den Orthodoxen Kirchen hat sich die sechswöchige Adventszeit bis heute erhalten.
„Unser“ Advent dagegen hat seine vier Sonntage. Und morgen ist der erste davon.