John Lennon rockt das Gotteshaus
Eine Konzertlesung in der Dorfkirche von Luthe bei Hannover verbindet die Musik der Beatles mit biblischen Texten. Das Publikum ist begeistert.
Vor dem Altar sitzt ein schlanker Mittvierziger, spielt die ersten Akkorde von John Lennons "Give peace a chance" an und gibt dann mit seinem Fuß den Rhythmus vor: "One, two, a one, two, three, four..." Jetzt gibt es kein Halten mehr. Die Konzertbesucher in den ersten Reihen springen auf und schwenken die Arme über den Köpfen, oben auf der Empore wiegen sich einige im Rhythmus und singen wie alle anderen mit, als der Gitarrist den Refrain der Friedenshymne der Siebzigerjahre anstimmt: "All we are saying is give peace a chance."
Samstagabend in der Dorfkirche in Luthe, ein 6000-Seelen-Ort, rund 30 Kilometer von Hannover entfernt. Der Kirchenraum mit rund 120 Plätzen ist erfüllt von Musik, Emotionen, Energie - und er ist voller Menschen, überwiegend höheren Alters. Das hatte weder Luthes Pastorin Marit Ritzenhoff erwartet noch Johnny Silver, der Sänger mit der Gitarre, der mit seiner ausgewaschenen Armeejacke und der getönten Nickelbrille tatsächlich aussieht wie John Lennon.
Es war durchaus etwas Besonderes, zu dem die evangelische Kirchengemeinde an diesem Abend eingeladen hatte: "Love and Peace, John Lennon, seine Lieder und die Religion" lautet der Titel der Konzertlesung, bei der Lieder des Superstars und Mitglieds der Rockgruppe The Beatles abwechselnd mit biografischen und meditativen Texten vorgetragen werden, ergänzt von Texten aus der Bibel, die auf der Leinwand neben dem Altar zu lesen sind. Eine ungewöhnliche Kombination, zumal John Lennon bekanntlich ein Provokateur war, hatte er doch 1966 in einem Zeitungsinterview gesagt: "Das Christentum wird abtreten, wir Beatles sind jetzt schon beliebter als Jesus!" Zum anderen gab es just an diesem Samstag in dem kleinen Ort mit dem Ball des Tanzvereins und dem Konzert einer Rockband gleich zwei Konkurrenzveranstaltungen.
Doch der Förderverein der Kirchengemeinde â€" ihr gehört rund die Hälfte der Einwohner von Luthe an â€" hat wie üblich bei solchen Anlässen die Werbung, Organisation und Finanzierung übernommen und die Konzertlesung zu einem großen Erfolg gemacht. Harald Rösemann ist Vorsitzender des Fördervereins. Der 58-Jährige, der als Unternehmensberater arbeitet, sieht dessen Aufgabe vor allem darin, für Leben in der Kirche in Luthe zu sorgen. Und eine Veranstaltung, die den Zuhörern neben populärer Musik auch die Lebensgeschichte des Musikers nahebringt und dies mit den tiefen Lebenserfahrungen aus der Bibel verbindet, dürfte hierfür ideal geeignet sein.
Begonnen hatte der Abend mit der Popballade "Nowhere man please listen" aus dem Jahr 1965. Auf der Leinwand erschienen dazu Sätze aus dem 69. Psalm: "Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle..." Nun treten die beiden Sprecher vor. Die Zuhörer erfahren von Lennons Ängsten, seinen Schreibblockaden und dass er lange zu eitel war, um eine Brille zu tragen. Es ist die Geschichte von einem, der nie fertig war und immer auf der Suche. "I'm a loser, baby", singt Silver als nächstes Lied. Es ist sehr still im Publikum, die Melodie erfüllt den Raum. Musik und Texte ergänzen sich, und die besondere Atmosphäre der Kirche macht offenbar viele nachdenklich.
Ein Dialog zwischen weltlicher Musik und biblischer Botschaft solle die Konzertlesung sein, sagt Wolfgang Bönisch. Der 61-Jährige ist Kirchenoberamtsrat im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover, seit Jahren ehrenamtlich in Gemeinden tätig und ausgewiesener Beatles-Fan. Vor sechs Jahren initiierte er das künstlerische Projekt, das er schon lange im Kopf hatte, gemeinsam mit Johnny Silver, Deutschlands bekanntestem, vielfach ausgezeichnetem John-Lennon-Interpreten. Sie hatten sich bei einem Beatles-Tribute-Konzert kennengelernt. Die Liedauswahl für die Konzertlesung kam von dem Musiker, Bönisch schrieb das Manuskript. Nicht auf der Grundlage von theologisch fundierten Analysen, wie er betont, sondern mehr aus dem Gespür heraus, dass ein ernstzunehmender Künstler kaum an der Bibel vorbeikomme. "Ich blende nicht aus, dass Lennon eine umstrittene Person war. Aber ich wäge ab, erzähle von seinem Werdegang, seiner Suche nach dem Sinn des Lebens und seinem Einsatz für Frieden und Gewaltlosigkeit." Er wolle Lennon nicht christlich vereinnahmen. "Doch Lennon hat als Künstler Impulse gegeben, die auch ein Christ aufnehmen kann."
Beide, der Musiker und der Kirchenmann, wollen mit ihrer Konzertlesung Menschen für die Kirche begeistern. Bewusst haben sie die Veranstaltung so konzipiert, dass sie erschwinglich ist und gut geeignet für kleinere Gemeinden. Leinwand, Beamer, zwei Mikros, Notenständer, mehr ist es nicht, was sie mitbringen. Auch nach Luthe, in diese Dorfkirche wie aus dem Bilderbuch. Das heutige Kirchenschiff aus dem Jahr 1818 steht an der Stelle eines Vorgängerbaus.
Bei den ruhigeren Beatles-Liedern wie "Let it be" gibt der Kirchenraum, der in sanftem Beige und weißlichem Grau gehalten ist, den Zuhörern Geborgenheit. Während des rockigen Lennon-Songs "Power to the people" dagegen mutet es an, als werde der Raum größer. Auf der Leinwand ist jetzt ein Vers von dem Propheten Jesaja zu lesen: "Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft." Die Musik passt in diese Kirche, auch die mal wütenden, mal verzweifelten Texte. "Auch wenn Lennons religiöser Weg nicht gerade verlief: Allein dadurch, dass er und seine Bandkollegen sich mit Glaubensfragen beschäftigten und über Gott sprachen, weckten sie das Interesse der Jugend dieser Zeit, sich mit Religion auseinanderzusetzen", liest Harald Rösemann vor.
Es scheint auch heute noch zu funktionieren, dass John Lennon Menschen zur Religion bringt: Oben auf der Empore hören fünf Frauen und ein Mann im mittleren Alter zu. Vom Konzert hätten sie in der Zeitung gelesen, sagt eine Frau, und nein, sie seien keine Kirchenmitglieder. "John Lennon und die Bibel", sagt die Frau, "das hat uns angesprochen, das wollten wir sehen. Musik verbindet eben."
Anderthalb Stunden dauert die Aufführung, nach "Give peace a chance" will sich Johnny Silver verabschieden. "Zugabe!" rufen die Zuschauer, sie klatschen, pfeifen und, logisch, Silver hat noch zwei Songs in petto. "I wanna hold your hand" und "Eight days a week". Yeah! Die Kirche bebt und zugleich erfasst ein Gemeinschaftsgefühl alle Anwesenden. Harald Rösemann lädt die Konzertbesucher zu Wein und Wasser ins Gemeindehaus gegenüber ein. Gut gelaunt gehen die meisten Gäste mit.
Auch Eckhart von Vietinghoff, der ehemalige Kirchenamtspräsident der Hannoverschen Landeskirche und jetzige Vorstandsvorsitzende der Stiftung KiBa, der sich spontan zum Konzert aufgemacht hatte. "In Montreal 1964 habe ich die Beatles live gesehen, meine Güte, ist das lange her", erinnert sich der 75-Jährige. In Grüppchen sitzt man beisammen, plaudert und es wirkt, als läge noch Musik in der Luft.
"Love and Peace" - eine Konzertlesung
Mit der Konzertlesung "Love and Peace, John Lennon, seine Lieder und die Religion" gehen Wolfgang Bönisch und Johnny Silver seit 2014 auf Tour. Bislang haben sie rund 50 Konzerte gegeben. Gemeinden, die Interesse an der Konzertlesung haben, finden Informationen und Kontaktdaten unter: peacelennon.jimdofree.com.
Von Katrin Wienefeld
Dieser Artikel erschien zuerst im Stifungsrundbrief "KiBa aktuell". Den können Sie auch kostenlos abonnieren, vier Mal im Jahr kommt er dann zu Ihnen ins Haus. Interesse? Dann melden Sie sich im Stiftunsgbüro - per Telefon, Post, oder E-Mail.