St. Ambrosius in Magdeburg-Sudenburg  (Sachsen-Anhalt)
St. Ambrosius in Magdeburg-Sudenburg (Sachsen-Anhalt)

„Wo ist Gott?“

Predigt zu 1 Kön 8,22-28 im Gottesdienst zur KiBa-Mitgliederversammlung

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott unserem Vater und dem Heiland Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

wo ist Gott zu finden? - "In der Natur", sagen die einen und meinen, im Wald dem Schöpfer selbst begegnen zu können. "Im Schicksal", sagen die anderen und deuten jedes Lebensereignis als von Gott verursacht. "Nirgends", sagen wieder andere, weil sie nicht glauben, dass es Gott gibt.

Wo ist Gott zu finden? Diese Frage ist nicht neu. Bereits vor 3000 Jahren dachte König Salomo über sie nach. Das war bei der Einweihung des neu erbauten Tempels in Jerusalem. Unser Predigttext ist ein Teil des Gebetes, das König Salomo sprach, als er das Heiligtum einweihte. Darin bittet er Gott, er möge sich im Jerusalemer Tempel von den Menschen finden lassen.

Wo ist Gott zu finden? Salomos Zeitgenossen hätten auf diese Frage vermutlich geantwortet: "Im Tempel. Wo denn sonst?"

Man kann ihnen diese Antwort nicht verdenken. Denn die Bürger des Landes waren jahrelang für den Tempelbau mit Steuern und Sonderabgaben zur Kasse gebeten worden. Wenn Gott nicht in diesem Tempel zu finden ist, wozu hat man ihn dann gebaut? Dann wären doch alle Mühe, alle Opfer umsonst gewesen!

Salomo aber antwortet überraschend anders auf die Frage, wo Gott zu finden ist: "Gott ist so groß, dass ihn noch nicht einmal der Himmel fassen kann. Wie könnte es dann dieser Tempel tun?"

Ich stelle mir vor, wie sich Salomos Zeitgenossen bei diesen Worten fassungslos angeschaut haben: "Dieses Prachtgebäude soll Gott nicht fassen können? Wozu ist es dann gebaut worden? Warum sind diese Unsummen aufgetrieben worden, wenn es Gott nicht fassen kann?"

Aber Salomo will nicht sagen: "Gott ist ganz bestimmt nicht im Tempel anzutreffen." Sondern er widerspricht der Vorstellung, als ob Gott an einem bestimmten Ort wohnen würde und nur dort anzutreffen wäre. Als ob Gott wie ein träger Hausbesitzer vorzustellen sei, der nie auf die Straße hinaustritt, sondern tagaus, tagein in seinen vier Wänden hockt.

Nein, Gott lässt sich nicht einmauern in ein Gebäude, und sei es noch so prächtig gebaut. Er lässt sich auch nicht einfangen in irgendwelchen religiösen Bräuchen und Handlungen, mit denen Menschen glauben ihn beeinflussen zu können.

"Gott ist größer!", sagt Salomo. Er ist nicht gebunden an einen bestimmten Ort oder an bestimmte religiöse Handlungen. Gott ist größer, so groß, dass ihn nicht einmal der Himmel fassen kann.

Ich finde das einen beunruhigenden Gedanken? Denn wie kann ich ein persönliches Verhältnis mit jemandem haben, der so viel größer ist als ich? Wenn noch nicht einmal der Himmel Gott fassen kann, wer bin dann ich mit meinem unwichtigen Leben vor ihm?

Diesen unendlichen Unterschied zwischen Gott und den Menschen wollten auch die Baumeister der mittelalterlichen Kathedralen ganz bewusst deutlich machen. Wer durch den Magdeburger Dom oder andere mittelalterliche Kathedralen geht und den überwältigenden Raum auf sich wirken lässt, der wird angesichts der Größe des Raums ein Gefühl dafür bekommen, dass der Mensch vor Gott nur wie ein Wassertropfen im Ozean ist.

Und so frage ich noch einmal: Wenn Gott so unendlich groß ist, dass nichts seine Größe beschreiben und nichts seine Gegenwart fassen kann, muss er dann nicht auch unendlich weit weg sein von mir? Ist er dann womöglich unerreichbar für mich?

Die Worte Salomos von Gottes überwältigender Größe und Majestät wollen nicht beunruhigen. Im Gegenteil. Sie wollen ermutigen und trösten. Denn wenn Gott größer ist als alles, dann muss er auch zugleich überall sein. Überall.

Und wenn das stimmt, dass Gott überall ist, dann ist er nicht nur bei den Menschen, die vom Leben verwöhnt sind und auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

Wenn Gott überall ist, dann ist er auch bei denen, deren Leben nichts Aufregendes zu bieten hat, bei den kleinen Leuten und bei denen, die in ihrem Leben vor einem Trümmerhaufen sitzen und sich von Gott und der Welt verlassen fühlen. Dann ist er auch dort.

Doch so tröstlich es auch sein mag, dass der große Gott auch den kleinen Leuten nahe ist, so schwer fällt es Menschen oft, eben das zu glauben. Warum? Weil seine Gegenwart oft nicht das hält, was sich Menschen von ihr versprechen.

Wo ist denn dieser große Gott in den schrecklichen Kriegen, die Menschen erleben müssen und in denen die Unbeteiligten am meisten leiden? Wo ist er dort? Er erscheint nicht mit der Macht von himmlischen Heerscharen, um das Blutvergießen zu beenden.

Wo ist er bei den Hungernden im Sudan, den Verzweifelten, Hin- und Hergetriebenen in Gaza? Wo ist er, wenn sich die Hirne Mächtiger immer neue Gewalttaten ausdenken? Wo ist er bei dem vielen Leid in unserer Welt? Ist Gott da?

Wenn es stimmt, dass Gott überall ist, dann ist er auch dort. Er ist dort, wo Menschen in Leid, Hunger und Angst leben. Aber er ist dort nicht so, wie wir das gerne hätten: mit starker Hand, die in das Geschehen eingreift. Denn auch das gilt es zu bedenken: Für das allermeiste Leid in dieser Welt sind wir Menschen selbst verantwortlich. Menschen haben es in der Hand, das Leid zu beenden. Dazu braucht es Gott nicht.

Dennoch, er ist dort. Bei den Vertriebenen dieser Tage ist er. Bei denen, die um ihre Liebsten weinen. In den Flüchtlingslagern sitzt er bei denen, denen der Krieg alles genommen hat. Überall dort ist er.

Es mag schon sein, dass das schwer zu glauben ist, aber es muss so sein. Denn der Gott, der bei den Leidenden ist, ist derselbe Gott, der sich damals in seinem Sohn von den Menschen an ein Kreuz nageln ließ. Es ist derselbe Gott, der auch dort nicht eingriff, sondern unsichtbar mitleidend gegenwärtig war.

Wo ist Gott zu finden? Ist der große Gott, den der Himmel nicht fassen kann, auch bei mir zu finden? Ist er auch in meinem Leben gegenwärtig? Ja, denn Gott ist größer als alles.

Deshalb kann der Theologe Dietrich Bonhoeffer über Gott sagen: "Gott ist so groß, dass ihm das Kleinste nicht zu klein ist."

Und das heißt für mich: In den Brüchen und Trümmern meines Lebens, in den kleinen vagen Hoffnungen, mit denen ich lebe, in den kleinen unscheinbaren Freuden meiner Tage ist Gott gegenwärtig. In allem Lachen, in jedem Weinen ist Gott da.

Und das geschieht eben auch in den Orten, die mit viel Aufwand und Geld erbaut und erhalten werden - in unseren Kirchen.

Am Tag nach der verheerenden Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt wurde auch die St. Ambrosiuskirche zum Anlaufpunkt für Menschen, die verzweifelt und ratlos nach Zuspruch und Halt suchten. Der Hinweis, dass dieses Angebot besteht, erging sehr kurzfristig und doch waren viele Menschen da. Manche waren vielleicht nur auf die Vermutung hin gekommen, dass die Kirche offen ist. Die meisten hatte ich noch nie in unserer Kirche gesehen.

Zu unseren sonntäglichen Gottesdiensten kommen meist zwischen 12 und 20 Personen. Für diese braucht es nicht eine solch große Kirche.

Letzten Sonntag zur Konfirmation war sie dann aber mit ca. 600 Menschen bis auf den letzten Platz gefüllt. Einige mussten sogar stehen. Da zeigte sich, wie segensreich eine solch große Kirche sein kann.

Kirchen sind Orte der Trauer und der Freude. In ihnen kann die Gegenwart Gottes gesucht und erfahren werden. Hier finden Menschen Frieden, inneren und äußeren. Es ist, zumindest in Großstädten, nicht ungewöhnlich, dass Menschen für einen Moment in eine geöffnete Kirche gehen.

Wenn der Lebensweg aus der Spur gerät, wenn Sterben oder Tod Familie oder Freunde getroffen hat, wenn die Ehe kriselt oder zu scheitern droht,

wenn Kinder und Jugendliche Sorgen bereiten oder Krankheiten eingetreten sind.

Manche möchten einfach nur einmal in Ruhe sitzen, während andere weinen können. Wieder andere beten, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben. Es beruhigt zu wissen, dass es einen Ort gibt, an dem Gottes Gegenwart zu spüren ist.

Ja, Gott kann in Kirchen, aber nicht nur dort, gefunden werden. Gott ist nicht begrenzt auf ein Gebäude. Gott will mit uns, mit seinen Menschen, in Verbindung stehen, wo immer wir sind.

Wo ist Gott zu finden? An besonderen Orten, wie Kirchenräume es darstellen, aber auch hier, in meinem Leben, mit mir gehend - dort ist Gott.

Und der Frieden...

Pfarrer Frieder Anacker, Kirchspiel Magdeburg-Süd