Alte Zeiten - neue Zeiten
Mit Altbischof Axel Noack im Osten unterwegs
30 Jahre nach der Wende – wie ist die Lage ostdeutscher Kirchengemeinden? Der ehemalige Bischof der mitteldeutschen Kirche Axel Noack besucht zwei Kirchengemeinden in Sachsen-Anhalt. Die KiBa ist dabei.
Warten auf Herrn Lilienthal: Birgit Jahn, seit sechs Jahren Kirchenälteste der St. Pankratius-Gemeinde in Halle-Mötzlich, ist schnell losgelaufen, um den Mann zu holen, der sich am besten mit der Geschichte der Kirche auskennt: „Er wirft sich was über und kommt!“, sagt sie, als sie zurückkehrt. Die 60-jährige Witwe ist in der Kirche getauft und konfirmiert worden, hat ihren Sohn später hier über den Taufstein gehalten. Ihre Beziehung zu dem romanischen Gotteshaus aus dem 12. Jahrhundert, das Ende des 19. Jahrhunderts in neoromanischen Formen umgebaut wurde, ist eng. „Erntedank ist das größte Fest am Ort“, erzählt sie, größer als Heiligabend. Es gibt einen Dorfverein bei uns, mit dem die Kirchengemeinde das Fest Hand in Hand organisiert. Inzwischen ist es das größte Volksfest im Nordosten von Halle. Zu DDR-Zeiten hat es das nicht gegeben.“
Wie kann eine kleine Dorfgemeinde – denn dörflich ist der Stadtteil – so eine Aufgabe stemmen? „Es gibt viel mehr Leute, die mitmachen, als zur Kirche gehören. So ist es überall im Osten. Zum Beispiel die Kirchenchöre: Die haben regen Zulauf, aber die Hälfte der Mitglieder ist nicht in der Kirche“, liefert Axel Noack seine Erklärung. Von 1997 bis 2008 leitete er als Bischof die evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg, bis Juni 2009 war er dann einer von zwei Bischöfen der zusammengeführten Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Seither lebt der Altbischof mit seiner Frau im Pfarrhaus in Mötzlich: „Ich bin hier ganz normales Gemeindemitglied.“ Als Birgit Jahn protestiert, räumt er schmunzelnd ein: „Na ja, am Bus sagen mir die Leute: Also, ich brauch ja keen Pfarrer, aber gut, dass Sie da sind!“
Mit einem Mal steht auch der Erwartete im Raum: „Guten Tag, Lilienthal, Odo. Genau so, nicht Otto, nicht Udo, einfach Odo.“ Der 78-Jährige wohnt seit 1963 gleich über die Straße. Als Erwachsener ist er in der Kirche getauft worden, mehr als 50 Jahre lang hat er als Vorsitzender des Gemeindekirchenrates die Geschicke der Gemeinde gelenkt. Lilienthal war Journalist für Lokales und Kultur bei der Tageszeitung der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands, einer der DDR-Blockparteien. „Wir hatten in unserer Arbeit gewisse Freiheiten, die es bei der SED so nicht gab. Hin und wieder ist es mir gelungen, kirchliche Nachrichten ins Blatt zu bringen. Das war schon etwas, da die Kirche totgeschwiegen werden sollte.“ Seine Pankratius-Kirche hat er über diese Zeit bewahren können. „Don Camillo und Peppone hatten wir in all den Jahren DDR nie bei uns.“ Die örtlichen Parteifunktionäre halfen, weil die Kirche eben zum Dorfbild dazugehört und weil sie auch einmal auf dem Friedhof an der Kirche begraben werden würden. „Und dann sollte es doch bitte schön gut aussehen“, erklärt Odo Lilienthal. Der Bischof zollt seinen Respekt: „Das ist schon ein kleines Wunder, wie ihr das hier alles so schön hinbekommen habt.“
Bei der Wende war die Kirche – anders als viele andere ostdeutsche Gotteshäuser – in solider Verfassung. Nun aber macht der Turm Sorgen. Doch die sind nicht erdrückend groß. Denn die Stiftung KiBa hat Hilfe bei einer Sanierung zugesagt – was andere ermuntert hat, mitzuziehen. Axel Noack ist einer der Gründungsväter des Fördervereins der Stiftung KiBa. „Von allen Landeskirchen und Bistümern in Deutschland haben wir hier mit Abstand die meisten Kirchengebäude; viele alte und unglaublich schöne. Darum war so eine Stiftung bald nach der Wiedervereinigung ein wichtiges Signal.“ Der Kirchenhistoriker Noack, der vor und nach seiner Bischofszeit an der Universität Halle lehrte und auch Kirchen- und Stadtführer ausbildet, weiß: „Die Kirchen sind heute ein wichtiger Zugang zu den Menschen. Wir sind immer noch fixiert auf die Mitglieder, und die brauchen und wollen wir ja auch. Aber bei denen, die mitmachen, ist oft nicht klar, ob sie Mitglied sind, weil ihr Einsatz überhaupt nicht daran hängt.“ So werden sie in Mötzlich weiter feiern: zwei Mal im Monat als kleine Gottesdienstschar und die Jahreshöhepunkte mit sehr vielen Menschen: den Erntedank, den Biker-Gottesdienst mit 400 Maschinen, die ins Dorf einfallen, und die Hubertusmesse der Hallenser Jagdgesellschaften.
14 Kilometer südlich liegt Burgliebenau. Der Altbischof streicht über den rauen Außenputz der barocken Saalkirche St. Philippus und Jacobus: „Ganz typisch fürs Bauen in der DDR.“ Der barocke Putz war zu DDR-Zeiten nicht denkmalgerecht erneuert worden, das Dach hatte die obligaten Zementdachpfannen erhalten. Die sind indes einem schönen Biberschwanzdach gewichen. 2011 unterstützte die KiBa diese Sanierungsmaßnahme.
Mit dynamischen Schritten kommt eine Frau über den Kirchhof. Ein fester Händedruck und ein klarer Blick. „Herzlich willkommen, ich bin die Frau Merkel“, lacht sie fröhlich, „aber nicht Angela, sondern Cornelia mit C.“ Sie schwenkt einen handgroßen uralten Schlüssel und sperrt die Kirche auf. Deren Kanzelaltar und die Taufe mit seltenem Lesepultaufsatz wurden 1732 bis 1733 vom Barockbildhauer Johann Heinrich Agners d. Ä. gefertigt. Darüber spannt sich eine virtuos ornamental ausgemalte Holztonne.
Cornelia Merkel ist Pfarrerstochter aus der Gegend bei Zerbst und trägt als Vorsitzende des Kirchengemeindeverbandes Elsteraue-Kabelsketal Verantwortung für elf Kirchen aus acht Gemeinden. Irgendwie muss die 55-Jährige da auch Kanzlerin können: „Alle wollen ihre eigene Kirche gut in Schuss haben, da muss man mit viel Fingerspitzengefühl zusehen, dass keiner meint, er kommt zu kurz.“ Ihren Einstieg in die Arbeit für die Gemeinde nach Jahren relativer Kirchenabstinenz veranlasste ein Anruf des Pfarrers, der fragte, ob sie beim Putzen der Kirche helfen könne. „Wenn ich eins kann, dann Kirche putzen“, rief sie damals. Daraus wurde ein vollwertiger Managementposten, den sie mit Schwung und Optimismus ausfüllt. „Wir halten unsere Kirchen instand für die, die da sind, denn die zählen. Und wenn es eine Handvoll ist!“
Langsam beginne ein Umdenken in den Gemeinden hin zu einem größeren Wirgefühl, ergänzt der Bischof: „Die, die in der Kirche sind, werden ihre Kirche im Dorf weiter pflegen. Aber ihr Gemeindeleben wird in Zukunft mehr in der Region zu finden sein. Hier ein Chorfest, dort ein Jugendcamp, Gemeindefeste an wechselnden Orten. So erweitert sich das evangelische Zusammengehörigkeitsgefühl.“ Cornelia Merkel bestätigt das: „Seit wir Regionalgottesdienste eingeführt haben, blicken die Leute über ihren eigenen Kirchturm hinaus zu den anderen Dörfern unseres Gemeindeverbands.“ Dann wird sie nachdenklich: „In der DDR war vieles schwierig. Trotzdem hatten wir das Gefühl, eigentlich geht es uns ganz gut in unserer Gemeinde. Heute geht es uns wirklich richtig gut. Und jetzt meinen viele, so schlimm war es noch nie.“ Frau Merkel, so viel ist sicher, kehrt die Dämonen mit Namen Frustration, Resignation und Depression gründlich aus ihren Kirchen. „Nein“, sagt sie entschlossen, „ich höre das hier nicht auf!“
Wie die KiBa geholfen hat
Seit ihrer Gründung im Jahr 1998 hat die Stiftung KiBa 958 Kirchen gefördert. 783 davon stehen in den ostdeutschen Ländern. 384 Gebäude gehören allein zur mitteldeutschen Kirche. Rund sieben Prozent aller 13 907 evangelischen Kirchengemeinden in Deutschland konnten sich schon über eine Unterstützung durch die KiBa freuen. Bei den ostdeutschen Landeskirchen liegt dieser Anteil zum Teil deutlich höher. Den höchsten Anteil geförderter Kirchen weist mit 21,6 Prozent die Nordkirche auf, zu der auch Mecklenburg-Vorpommern gehört.
Von Thomas Rheindorf
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