Die Hüter des Lichtes
Friedenslicht im Bremer Dom St. Petri
In Bethlehem entzündet, kommt die Flamme des Friedenslichtes jedes Jahr im Advent in viele Kirchen in Deutschland, so auch in den Dom St. Petri in Bremen. Für den Transport und die Verteilung des Lichtes sorgen die Pfadfinder. Der schöne Brauch zieht immer weitere Kreise.
Die historische Bremer Innenstadt wirkt im Advent noch anheimelnder als sonst. Am Marktplatz zwischen dem Dom und dem Haus der Bürgerschaft rumpelt die Straßenbahn fast durch den Weihnachtsmarkt, es duftet nach Schmalzgebäck. Vor den Karussells hüpfen Kinder herum, aus den Buden ertönen mit Kling und Klang weihnachtliche Lieder, die Tannenbäume tragen rote Schleifen. Sogar die Steinskulpturen von David, Moses und Karl dem Großen an der gotisch strengen Westfassade des Doms scheinen milde auf das Treiben zu ihren Füßen zu blicken.
Ohne all diesen adventlichen Trubel weiter zu beachten, springt Günni mit Riesenschritten und wippender Gitarre auf dem Rücken die Treppen zum Domportal hinauf. Der junge Mann geht ins Mittelschiff zu der kleinen Gruppe von jungen Leuten, die sich an den Bänken vor der Kanzel zu schaffen machen. Spätestens jetzt ist es vorbei mit der bedächtigen Stimmung im romanisch-gotischen Dom St. Petri, dessen Mauern vom Weihnachtsmarkt draußen keinen Laut hereinlassen. Mit Hallo und Moin begrüßen die jungen Leute einander. Weswegen sie hier sind, erklärt Moritz Becker, 18 Jahre alt, Pfadfindername Günni, in knappen Worten: „Wir helfen bei der Aktion Friedenslicht. Weil wir davon überzeugt sind, dass wir ein friedliches Miteinander aller Menschen unterstützen müssen.“
Friedenslicht? Was hierzulande erst wenige kennen, ist in Österreich und der Schweiz seit 1986 ein etabliertes Ritual: Anfang Dezember entzündet ein Kind eine Kerze in der Geburtsgrotte in Bethlehem; in einem feuersicheren Behälter fliegt diese Flamme mit Austrian Airlines nach Wien, wo sie während einer ökumenischen Feier auf Tausende weitere Kerzen verteilt wird. Initiiert hatte die Aktion der österreichische Sender ORF als Dankeschön für die Spenden zugunsten einer Benefizsendung. Ein Licht als Botschaft des Weihnachtsfriedens, das man mit nach Hause nehmen kann – die Resonanz war enorm. Der ORF machte es mit seinen Sendungen im ganzen Land bekannt. Doch damit die Flamme über die Alpen kam, brauchte es mehr.
Die Pfadfinder, mit geschätzten 50 Millionen aktiven Mitgliedern die vermutlich größte Jugendbewegung der Welt, übernahmen drei Jahre später die Aufgabe, das Licht und die Friedensbotschaft in möglichst viele Länder zu tragen. Mit ihren hierarchischen Strukturen aus Bünden, Stämmen und Sippen haben die Pfadfinder das Potenzial für die Logistik – und sie haben sich seit langem der Friedenspädagogik verschrieben. Mittlerweile beteiligen sich konfessionelle und überkonfessionelle Bünde aus 25 Staaten an der Aktion, neben europäischen auch Pfadfinder aus den USA, Israel und Palästina. Seit 1994 kommt das Licht auch nach Deutschland, wo es im vergangenen Jahr in mehr als 400 Kirchen verteilt wurde. Tendenz weiter steigend.
Die 17-jährige Nele Schneider aus Bremen, eine sportliche junge Frau mit offenem Lächeln, ist wie Günni Mitglied im interkonfessionellen Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder, kurz BdP, und sie gehörte zu denen, die im vergangenen Jahr das Licht für die Stadt holten. Ein Abenteuer! Schon Monate vorher kümmerte sich das extra für die Aktion gegründete Friedenslicht-Komitee vor allem um die Sondergenehmigung, offenes Feuer in der Bahn transportieren zu dürfen. Und dann war es endlich so weit: Nele und ihre Pfadfinderfreunde fuhren nach Österreich, um das Licht zu holen. Sie hatten eine Blechtonne dabei, um die Flamme zu schützen. Trotzdem passierte es, wie Nele erzählt: „Im Bremer Hauptbahnhof ist uns das Licht ausgegangen. Zum Glück waren Pfadfinder aus Leer mit uns im Zug gewesen. Einer von uns ist ihnen hinterhergerannt und hat bei denen unsere Kerze wieder anzünden können.“
Nele und Günni tragen dunkelblaue Hemden und gelbe Halstücher, die Kluft des BdP. „Ich liebe das Gemeinschaftsgefühl“, erklärt Nele, warum sie bei den Pfadfindern mitmacht. Günni, der sein widerspenstiges Haar schnell zum Zopf bindet, nickt dazu. „Im Grunde ist jede Gruppenstunde bei uns ein Beitrag zum Frieden“, sagt er. „Jeder bei uns ist gleich, allein schon wegen der Kluft. Ob nun einer einen Daunenschlafsack für Hunderte von Euro dabei hat oder nicht oder aus einem anderen Land kommt, wir helfen uns gegenseitig. Diese Akzeptanz ist friedensstiftend.“
Vor der Kanzel im Bremer Dom wird es nun wuselig. Einige Jugendliche legen Bretter mit eingestanzten Kerzenlöchern auf die Lehnen der Bänke. St. Petri steht in gutem Kontakt mit den Pfadfindern, im Gemeindehaus treffen sich die „Edelweißpiraten“ von der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands. Domprediger Henner Flügger unterstützt den Friedenslichtbrauch. „Zur Aussendung kommen die unterschiedlichsten Menschen in die Kirche, weil alle Pfadfinderbünde mitwirken, die konfessionellen und überkonfessionellen“, sagt Flügger. So überschreite die Friedenslichtaktion bereits während der Vorbereitungen die Grenzen der Religionen.
Mittlerweile hat sich die Kirche mit Besuchern gefüllt. Den Umfang eines regulären Gottesdienstes übertrifft die Aussendungsfeier allemal: Alle rund 500 Plätze sind besetzt, als Pastor Flügger zu Beginn mit einem Gebet auf das Friedenslicht einstimmt. Dann bringen zwei Kinder in Pfadfinderkluft und mit glatt gekämmten Haaren die Kerze, die bis dahin im Seitenschiff ruhig vor sich hin brannte. Der Frauenchor der Gemeinde beginnt zu singen, als einige Pfadfinder aufstehen, um Kerzen an der Flamme aus Bethlehem zu entzünden und sie zu den Bänken zu bringen. Ein paar Jugendliche kichern, einer Frau tropft Wachs auf den Mantel. Doch als sich Kerze um Kerze entzündet und die Säulen des Doms mit ihrem rostroten, ockerfarbenen und mattblauen Steinmuster zu leuchten beginnen, wird es sehr still. Alle blicken auf die Lichter in ihren Händen, und vielleicht macht dieser Moment das Ritual so besonders. In Bethlehem, der Stadt, aus der das Licht komme, sei das Leben oft nicht friedlich, daran erinnert Flügger in seiner Predigt. Er sagt: „Wir haben den Auftrag zum Frieden!“ Nach Fürbitten, Gesang und mitten hinein in die getragene Atmosphäre ruft Günni ins Mikro: „Moin, ich lad euch alle ein zur Nachfeier in den Bibelgarten!“
Im Garten an der Südseite des Doms hat jemand der Statue des heiligen Jakobus einen Stoffbeutel an den Wanderstab gehängt, das Lagerfeuer flackert. Kaum Erwachsene, dafür dreißig, vierzig Pfadfinder in ihren verschiedenen Kluften stehen um das Feuer und singen: „Sonnenschein und wilde Feste sind im Leben doch das Beste.“ Als das Feuer langsam verglimmt, bricht einer nach dem anderen auf. Eine Frau mit einer Kerze in der Hand steigt auf ihr Fahrrad: „Ich probier' mal, ob ich sie brennend nach Hause bekomme“, sagt sie. Andere tragen das Licht mit Sturmlaternen in die Straßenbahn, die quietschend beim Dom hält.
Bis Heiligabend wird die Flamme weitergereicht, in Krankenhäuser, Kindergärten und diesmal sogar in die Fatih-Moschee gebracht, die drittgrößte Moschee Deutschlands. Am ersten Weihnachtstag besuchen zwei Pfadfinder mit einer flackernden Kerze Ilker Kabadayi vom Vorstand der Moschee. Der nimmt das Licht zögerlich an und stellt es auf seinen Schreibtisch. Die beiden Pfadfinder erzählen von ihrem Verband, den Jugendlichen, die so viel gemeinsam machen, dem Friedenslichtgedanken und auf Kabadayis Gesicht breitet sich ein Lächeln aus. Er werde seiner Gemeinde von allem erzählen, sagt er beim Abschied.
So erreicht das Licht aus Bethlehem immer mehr Menschen. Auch in diesem Jahr werden Pfadfinder wie Günni und Nele nach Österreich fahren, um das Friedenslicht abzuholen und zu verteilen . Und vermutlich noch mehr Gemeinden als im Vorjahr werden den schönen Brauch, der so gut zum Sinn des Weihnachtsfestes passt, zelebrieren, am 16. Dezember auch wieder die Domgemeinde in Bremen.
Pfadfinder und Friedenslicht
Rund 260 000 Pfadfinder in mehr als 100 Verbänden gibt es in Deutschland, manche sind interkonfessionell wie der BdP, andere religiös ausgerichtet wie der evangelische Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP). Sogar ein Bund der muslimischen Pfadfinder und Pfadfinderinnen Deutschlands ist seit kurzem Mitglied im Dachverband der Pfadfinder. Die Kollekte der letztjährigen Feier im Bremer Dom ging an eine Gruppe christlicher syrischer Pfadfinder in Bremen. Sie wollen sich Blasinstrumente für ihren Spielmannszug kaufen und werden in diesem Jahr bei der Friedenslichtfeier in Bremen musizieren.
Von Katrin Wienefeld
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