Merseburger Dom
Merseburger Dom Falco auf Pixabay

„Häuser für die tiefsten Fragen“

Regine Hartkopf ist Architektin und Dombaumeisterin für die Dome in Merseburg und Naumburg und das Kollegiatstift Zeitz. Für die Stiftung KiBa hat sie ihre Gedanken und Überlegungen zu unserne Kirchbauten zusammengefasst.

Was sind Kirchen? Häuser für Gott? Wozu braucht der Schöpfer des Alls ein Haus? Wozu braucht der, der den Wind über unser Gesicht streichen lässt, eine Wand? Der uns den Lebenshauch eingeblasen hat, ein Dach? Der vor aller Zeit war und immer sein wird, der das Meer teilen kann und als Feuersäule vor seinem Volk zieht – wie sollte ER in ein Gebäude passen?

Nein – wir sind es, die Zeichen brauchen. Wir kleinen Menschen suchen immer wieder Vergewisserung. Wir wollen Gott begegnen. Wir wollen sicher sein, dass er da ist. Wir bauen für uns das Haus – und sagen, für Gott soll es prächtig sein. Würdig soll es sein, beeindruckend, sinnreich...

Als Dombaumeisterin darf ich Verant wortung für den UNESCO-Welterbe-Dom in Naumburg und den Merse burger Dom mittragen. Als freie Architektin arbeite ich am Hallenser Dom, an großen und kleinen Kirchen und Räumen, die früher einmal Kirchen waren. Ich suche die Botschaft und das Leben dige. Es ist paradox, dass in Sachsen-Anhalt mit dem größten Reichtum an mittel alterlicher Bausubstanz und Kirchen 84 Prozent der Bevölkerung konfessionslos sind. Welche Botschaft wird hier heute noch verstanden?

Natürlich erzählen gerade Großkirchen immer auch von Macht, von Reichtum, sie erzählen Geschichten von Kirchenfürsten und weltlichen Herrschern. Domschätze beeindrucken, Kunstschätze bereichern. Aber darum geht es doch nicht, oder?
 

„Es wird nur erhalten, was genutzt und geliebt wird.“

Regine Hartkopf

Vor geraumer Zeit war ich mit einer Gruppe von Kindern im Naumburger Dom. Wir wollten eine Ausstellung zum Thema Glas ansehen – und natürlich waren die teilweise gerade fünf Jahre alten Kinder viel zu klein für das Thema. Also habe ich die Kinder losgeschickt, im Dom nach Engeln zu suchen. Was für ein Fundus! Was für eine Erkenntnis! Es gab ein Gelaufe und Gerenne – ein Hier und Dort – noch nie habe ich im Dom so viele Engel gesehen. Auf Grabsteinen, auf Bildern, auf Glas, am Lettner... Die Augen der Kleinen waren unverstellt und offen.

Kirchen sind Räume, in denen wir mehr sehen können als das, was wir auf den ersten Blick erwarten. Fragen nach Tod und Leben, nach dem, was Menschsein bedeutet, und dem, was sein wird, wenn wir einmal nicht mehr leben, bewegen uns alle. Fragen nach dem Sinn, nach unserer Bedeutung und Wirkmächtigkeit als Menschen sind jenseits von Konfessionen und Reli gionen Kernfragen des Menschseins. In einer Zeit, in der die Bedeutung von Religion abzunehmen scheint, brauchen wir mehr denn je Räume, die an unser Menschsein erinnern und uns in einen größeren Zusammenhang einbinden. Wir haben die Aufgabe, diese Räume lebendig zu halten und gemeinsam mit den nächsten Generationen mit Sinn zu füllen. Denn: Es wird nur erhalten, was genutzt und geliebt wird.

Diese Kolumne ist im Stiftungsrundbrief „KiBa aktuell“ 2/2021 erschienen.