Festansprache von Dr. Ulrich Böhme
Sehr verehrte, liebe Freundinnen und Freunde der KiBa,
ich vermag nicht ohne eintausend Kilometer gen Osten gerichtete Nachdenklichkeit zu beginnen. Das Gegenteil zu dortigen Verbrechen ist die Nachfolge erheischenden Spur des Mannes aus Nazareth.
Ich begrüße ich Sie ganz herzlich, sind wir doch alle ein wenig verwandt miteinander, weil wir zu jener Großfamilie gehören, die sich als Pflichtverteidiger für Kirchenerhalt engagieren.
Die Kirchgebäude sind konstitutiver Versammlungsort der christlichen Gemeinden. Sie sind geistliches Zentrum, sichtbares Gedächtnis. Und sie wurden treuhänderisch über Generationen weiter gegeben. Seit etwa einhundert Jahren zählen sie zu den Juwelen des Denkmalbestandes.
Alle diese Selbstverständlichkeiten wollte die religionsfeindliche, sich anmaßend sozialistisch etikettierende DDR ausmerzen, was den Kirchgemeinden vielerlei Ohnmachtserfahrungen bescherte. Wenn schon der biblische Salomo wusste: Mit Weisheit wird das Haus erbaut und mit Verstand erhalten. Wieviel Antiverstand muss da jene vier Jahrzehnte beherrscht haben, um die DDR kaputt zu regieren.
Die Folge war, dass sich ein kirchbaulicher Nachholbedarf aufgestaut hatte, der auch nach unserer Friedlichen Revolution trotz exorbitantem Finanztransfer von West nach Ost nicht hinreichend reduziert werden konnte.
Auch eine eigens deshalb im April 1995 in der Dresdener Dreikönigskirche unter meiner Gastgeberschaft gehabte ökumenische Großtagung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler, an der unter anderem der damalige Bundesbauminister Töpfer teilnahm, konnte keine Wunder bewirken.
Es musste erkannt werden: Der Staat ist zwar für „alles“ zuständig, aber nicht zuerst unsere Kirchgebäude. Gleiches gilt für die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Sie fördert alle Kulturdenkmäler, die Kirchgebäude also nur unter anderen. Ergo: Eine Stiftung für unsere Kirchgebäude muss her; denn mit Redereien allein ist kein Schiff zu bauen, auch kein Kirchenschiff.
Diese Option fand bei der EKD Aufmerksamkeit. Das Projekt Kirchbau-Stiftung wurde durch die Herren OKR Herborg und Bönisch von der EKD neben all ihren umfänglichen Dienstverpflichtungen höchst zielstrebig vorangetrieben.
Ihr Verdienst ist es, dass dann vor nunmehr feier-würdigen 25 Jahren im Rat der EKD unter dem Schutz unserer staatlichen Rechtsordnung der Urknall für die Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland stattfand. Die Namensgebung war unserer Dresdner Fachtagung entlehnt.
Dissonant war lediglich der territoriale Bezug. Vieles sprach für eine Zuordnung auf die östlichen Bundesländer. Aber - wir alle sind Zeitzeugen und Mitbetroffene fundamentaler Wertewandelprozesse in Denk- und Glaubensangelegenheiten. Wir beklagen galoppierende Wissensdefizite und Gleichgültigkeit zu christlichen Inhalten und Intentionen und damit einen epochaler Kontinuitätsbruch. Selbst der Atheist Gysi vermerkt: „Mich ängstigt die heraufziehende gottlose Gesellschaft!“
Da sich diese Entwicklung in Ost- und Westdeutschland tendenziell gleich vollzieht, war es richtig, die Kirchbau-Stiftung für ganz Deutschland zu konzipieren.
Und – seit 20 plus 2 Jahren gibt es uns inzwischen fast 4000 Persönlichkeiten, die den KiBa-Förderverein konstituieren. Wir beleben durch all unser Teilen und Abgeben das christliche Geheimnis der „Brotvermehrung“. Ganz aufrichtigen DANK dafür!
Seit Stiftungsgründung erfuhren 1600 Kirchgemeinden nachhaltige Unterstützung, unter anderem die heute besuchte KiBa-Kirche des Jahres in Dresden, Leubnitz-Neuostra. Das mehrt in den Gemeinden auch den unverzichtbaren Baustoff Hoffnung; denn: Wer baut, hat Hoffnung und zeigt an, im Hause wohnen bleiben zu wollen.
Beispielhaft leistet die KiBa Beispielhaftes, um den Kirchen das uns bekannte Schicksal der alten Windmühlen zu ersparen: Einst aller Orten für menschliches Sein unverzichtbar, heute nur noch marginal vorhanden…
Geradezu programmatisch dafür lese ich die Grußbotschaft über dem Portal der Suhler Kreuzkirche: „Gott, den Mitbürgern und der Nachwelt“. Darüber und über mancherlei Wetterleuchten in unserer Welt versuche ich noch ein wenig zu sinnieren.
Sich intensiv um unsere Kirchen zu mühen, eben auch vermittels der KiBa, dafür finden sich diverse orts-, kirchen- und kunstgeschichtliche Rechtfertigungen. Bedeutsamer als alle diese ist: Die Kirchgebäude sind dem soli deo gloria gewidmet. Fast allerorten sind sie das bauliche und geistliche opus magnum mit größter Überlieferungsdichte der abendländischen Kulturgeschichte.
Über Jahrhunderte hinweg fungierten die Kirchen in Deutschland und Europa als Kulturbringer und als Kristallisationskeime, um die gesiedelt, geliebt, gearbeitet und vor allem geglaubt wurde und weiter wird. Sie sind überwiegend die ältesten Gebäude in unseren Dörfern und Städten. Sie altern nicht, denn sie sind bereits alt. Unter anderem deshalb haben sie kein Verfallsdatum!
Unsere Kirchgebäude sind in einer Welt akzellerierenden Wandels Orte des Vertrauten, Scharnier zwischen christlicher Religion und Gesellschaft. Drum sind Debatten um Erbebewahrung der Kirchen, auch der Religion, indirekt Debatten über die Zukunft des politischen Gemeinwesens und die sie tragenden Fundamente; denn geistige Bindung an die gemeinsame Kultur prägt unsere Nation.
Wichtiger noch: Kirchen sind umbautes Wort. In ihnen werden durch Wort, zeichenhaftes Handeln, Musik und Bild Sinnfragen des Lebens erörtert. Das macht sie zu einem genius loci, dem Gegenteil zu Immobilien, die wegen vermeintlicher Unrentierlichkeit nach Gebrauch entsorgt oder banalen Rentabilitätsüberlegungen von Spekulanten überlassen werden.
In den Kirchen wird jenes von Jesus benannte „Salz“ gesiedet und abgepackt, um auf den Tischen der Welt das „Du sollst“ bzw. „Du darfst nicht“ schmackhaft zu machen. Außerdem gemahnen sie im Gegensatz zu anderen Bauwerkskategorien wie Burg, Fachwerkhaus oder Industriedenkmal die ganze Woche hindurch: Biblische Botschaft und christliche Werte gehören nicht dem Sonntag, sondern müssen im Alltag gelebt werden. Dabei geht es gemäß Jeremia um „nie wieder“, um „so nicht“ und um „es sei“, also um das Suchet der Stadt, des Dorfes, der Welt Bestes. Um diese Funktion der Kirchgebäude zu bekräftigen wünschte ich mir an jeder Kirchenausgangstür unübersehbare Schilder mit dem Vermerk: „Nun betreten Sie das Feld Ihres christlichen Handelns!“
Deshalb ist jede Kirche vor Ort ist für die dort nach Sinn Fragenden die wichtigste im Land. Obendrein: Was wäre unsere Kulturlandschaft ohne die Würde der von Müttern und Vätern ererbten, von Kindern und Enkeln geliehenen Kirchgebäude?
Also: Wo Post und Schule, Konsum und Kneipe aus allein wirtschaftlichen Gründen „dicht gemacht“ haben, muss die Kirche im Dorf bleiben, bitteschön auch in der Stadt! Ja es ist schon bemerkenswert, dass gerade diese Formulierung bis an die Stammtische vorgedrungen und Symbolismus unseres Sprachgebrauches geworden ist.
Dennoch - eine Verpflichtung für die Kirchgebäude entfaltet sich nicht per se. Wie erstrebtes Eheglück täglich neu er - liebt sein will, muss Verantwortungsübernahme für die Kirchen immer wieder angestoßen, ja erbeten werden.
Das liegt an einem unser Seelenleben gefährdendes Virus. Dieses zielt auf eine egoistische Sakralisierung des Ich, erodiert den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft und findet in so bedrückenden Fragestellungen wie „Warum denn ich?“ bzw. „Warum denn ich nicht?“ sein makabres Credo. Individualisierung ist in. Sicher erinnern wir uns an den berühmten Ruck, den schon vor Jahren Roman Herzog initiieren wollte. Fast alle dachten, der Bundespräsident hat die anderen gemeint, aber doch nicht mich. Dabei beschrieb schon der große Philosoph aus Königsberg das sich willig in die Pflicht nehmen lassen als hohe Tugend…
Dieses Virus gefährdet unsere Bereitschaft zu Altruismus, obwohl Artikel 14/2 unseres Grundgesetzes orientiert: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“ Deshalb bitte ich auch hier: Bleiben wir der segensreich tätigen Stiftung KiBa treu, werben wir um Fördermitgliedschaften. Dabei weiß ich: Das redet und hört sich leichter dahin als es getan wäre.
Aber es lohnt; denn unsere Kirchen sind spirituelle Kult-ur-orte und auch Kulturorte. Ihnen kommt, symbolisch, die Funktion von Verschiebe- und Versandbahnhöfen, von Wechselstuben und Tankstellen zu. Sie bringen vermittlungswürdige Güter wie barmherzige Liebe, Lebenshoffnung, Solidarität, Dankbarkeit Richtung Gesellschaft auf den Weg.
Dafür stehen zahlreiche Bibelaussagen, zum Beispiel „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ oder „Nehmet einander an, so wie euch Christus angenommen hat“, und zwar brutto. Oder denken wir an das prägende Urbild vom barmherzigen Samariter.
Die Kirchen mahnen auch zur Bewahrung der Schöpfung. Wie nichtig wäre all unser fleißiges Bewahren kirchlicher Baudenkmäler, gelänge es nicht, den drohenden ökologischen Kollapses zu verhindern?? Dies betone ich umso besorgter, als der Mensch, die Krone der Schöpfung, zunehmend zur Dornenkrone der Schöpfung mutiert. Fatalerweise ist das globale wie das kirchliche(!) Gemeinwesen noch immer geneigt, aus diesem Elefanten eine Mücke zu machen.
Noch ein anderer Befund: Neben den Zehn Geboten und dem Vater unser sind unsere Kirchengebäude schätzens-werte Mitgift der Christen für die sich immer verlässlicher entfaltende Europäische Union. Drum wollen wir die Kirchen nicht lediglich bewahren, sondern mit ihnen entsprechend den uns von Jesus ins Bild gerückten Pfunden wuchern.
Dazu gehört, sie als geistliche und geistige Autoritäten über die Gottesdienste hinaus zu nutzen. Natürlich wissen wir: Die Kirche ist offen für alle, aber eben nicht für alles. Grenzen dafür zu definieren, weder fundamentalistisch noch prinzipienlos, ist die Theologie gern behilflich.
Was spräche bei Maßgabe der Widmungsverträglichkeit dagegen, wenn in unseren Kirchräumen auf dem Hintergrund christlicher Botschaft Künstler zu Wort kämen, Schriftsteller „predigten“, Politiker „verkündigten“?
Oder wenn jede Schulklasse einmal im Jahr eine Stunde Unterricht im dem für pädagogische Anknüpfungen reichen Kirchraum hätte, und zwar in Geschichts- und Heimatkundeunterricht, Kunst- und Musikunterricht? Also nicht zuerst im Religionsunterricht. Warum soll beispielsweise „Am Brunnen vor dem Tore“ nicht einmal von der Orgelempore gesungen werden?! Das umso mehr, da über 80% der SchülerInnen noch nie in einem Kirchraum waren, wiewohl das lateinische religio nichts anderes als Bindung bedeutet.
Obendrein: Öffentlichkeit und öffentliche Hand werden sich umso bereitwilliger für das Bauwerk Kirche einsetzen, wenn dieses auch über den Gottesdienst hinaus genutzt wird. Intensivierte Kirchraumnutzung ist die entscheidende Voraussetzung dafür, alle Varianten völlig unerwünschter UM-Nutzungen – welch verharmlosendes Un-Wort! - von Kirchen in Kneipen, Werkstätten oder was auch immer oder gar die ultima ratio des aus Resignation resultierenden Abrisses zu verhindern.
Wir dürfen unsere Kirchgebäude nicht voreilig dem Zeitgeist opfern!
Sie haben Bleibepflicht, auch wenn das Buchhalter heutzutage als unrealistisch tabuisieren! Aber - Buchhalter haben im Gegensatz zu gottbeseelten Utopisten noch nie das Rad der Geschichte weitergedreht, was übrigens auch für die KiBa gilt.
Ob uns Jesus uns nicht auf die Schulter klopfte mit dem Bemerken: Weiter so?! Dieses von mir erahnte „Weiter so“ fände seine Begründung darin, dass bei verantwortungsbewusster Umsetzung meiner vielleicht irritierenden Vorschläge das Kirchgebäude und sein Sakralraum sehr wohl das Bethaus bliebe und eben nicht zur Räuberhöhle verkäme. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit...“
Bleiben wir nicht lediglich Zuschauer einer Entwicklung, sondern mischen wir uns auch vermittels der Stiftung KiBa ein, den im mehrfachen Wortsinn über sich selbst hinausweisenden Kirchgebäuden eine verlässliche Zukunft zu sichern; denn ihnen kommen zukunftsichernde Aufgaben zu.
Wer wollte gegen allen Anschein ausschließen, dass die Kirche und damit die Kirchengebäude angesichts der ökologischen und sozialen Welt-un-ordnung erst noch vor ihrer größten historischen Herausforderung stehen?? Fühlen wir der Zeit am Puls, spüren wir, wie zerbrechlich unsere durch Beton, Konsum und Seifenopern von vielerlei Elend und millionenhafter Verzweiflung abgeschirmte Wohlstandswelt ist.
Bitte hoffen Sie mit mir, dass meine Visionen nicht zu Illusionen verkommen und nach uns resümiert werden kann: Die KiBa veränderte die Kirchbau-Welt! Allerdings - wir dürfen „nicht nur“ Kirchen, sondern wir müssen auch Kirche bauen helfen! Freilich – an Gottes Segen ist alles gelegen!
Ulrich Böhme
10. Juni 2022
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