Predigt im Eröffnungsgottesdienst
Marktkirche zu Halle (Saale)
Predigt zum Text: 1. Könige 6,1-14
Es geht die Legende von einem Mädchen hier in Halle. Vielleicht fünf Jahre ist es her. Sie könnte inzwischen 13 Jahre sein. Dieses Mädchen schaut voller Erstaunen zu der Marktkirche empor und sagt: Ooh, ist das aber ein schönes Schloss!
In Eisleben, wo ich vorher gearbeitet habe und die Taufkirche Luthers bei ihrer Umgestaltung zum Zentrum Taufe begleitet und das inhaltliche Konzept entwickelt habe; in Eisleben, dem Geburts- und Sterbeort Martin Luthers, wo nicht mal mehr jeder Zehnte einer Kirche angehört; in Eisleben also höre ich zwei junge waschechte Eisleberinnen vor der Kirchentür miteinander sprechen: „Boah! Was is n das?“ staunt die eine. Die andere weiß die Antwort: „Ej, das ist ne Kirche!!!“ Und entfernen sich fröhlich schwatzend in Richtung Innenstadt.
Gott, so ist es wohl zuerst bei der Wieder-Einweihung des Berliner Doms 1993 gesagt worden, Gott braucht keine Dome, er braucht keine Kirchen. Wer braucht sie?
Als ich gestern Abend an dieser Predigt sitze, höre ich plötzlich das Halleluja von Händel. Soundcheck für das Fest anlässlich 70 Jahren Puppentheater Halle, das heute und morgen auf dem Marktplatz stattfindet. Wieso das Halleluja, frage ich mich? Wieso nicht die Filmmusik von Gullivers Reisen? Das würde doch dem Titel des Festes und der 18 m hohen Gulliver-Figur mehr Rechnung tragen. Und diese Musik wäre erst 14 Jahre alt, nicht wie Händels Halleluja 283 Jahre.
Um das Halleluja Gottes, das Loblied für ihn anzustimmen, braucht es also keine Dome, keine Kirchen. Sein Lob erschallt auf Halles Marktplatz. Gestern beim Soundcheck. Und auch jeden Tag um 13.00 Uhr. Dann nämlich, wenn für jedes an diesem Tag in Halle geborene Kind ein Glockenschlag erklingt. Umrahmt von Händels Halleluja.
Gott braucht keine Kirchen.Ich brauche sie.Nicht nur im Urlaub, wenn ich neugierig die schwere Tür einer Kirche öffne, um etwas von den Menschen dieses Ortes zu erfahren.
Natürlich braucht es Kirchen. Nicht nur Pascal Mercier möchte nicht in einer Welt ohne sie leben.
Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. - Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt. Ich will zu leuchtenden Kirchenfenstern hinaufsehen und mich blenden lassen von den unirdischen Farben. - Ich brauche ihren Glanz. Ich brauche ihn gegen die schmutzige Einheitsfarbe der Uniformen. Ich will mich einhüllen lassen von der herben Kühle der Kirchen. - Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen. Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und das geistreiche Geschwätz der Mitläufer.
Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese Überschwemmung von überirdischen Tönen. - Ich brauche ihn gegen die schrille Lächerlichkeit der Marschmusik. Ich liebe betende Menschen. - Ich brauche ihren Anblick. Ich brauche ihn gegen das tückische Gift des Oberflächlichen und Gedankenlosen. Ich will die mächtigen Worte der Bibel lesen. - Ich brauche die unwirkliche Kraft ihrer Poesie. Ich brauche sie gegen die Verwahrlosung der Sprache und die Diktatur der Parolen.Eine Welt ohne diese Dinge wäre eine Welt, in der ich nicht leben möchte.
aus Pascal Mercier „Nachtzug nach Lissabon“
btb München, 12. Auflage,S. 198
Am Sonntag habe ich zum ersten Mal eine Andacht zur Segnung Neugeborener gehalten. Vorn im Altarraum. Der Raum hätte nicht besser sein können. Der Raum hat uns mit seiner Ruhe zur Ruhe kommen lassen. Er hat uns den Segen Gottes - zum ersten Mal über den neugeborenen Kindern gesprochen - in besonderer Weise spüren lassen. Es braucht diesen Raum. Einen Raum der Ehrfurcht. Einen Raum der Konzentration. Vor allem aber einen Raum des Nicht-Sagbaren.
Es braucht ihn nicht, um die Macht der Menschen zu demonstrieren. Kardinal Albrecht hatte sowas im Kopf, als er anregte, auf dem Hauptplatz der Stadt Halle Anfang des 16. Jahrhunderts eine prächtige Kirche zu bauen. Doch die Bürger waren dagegen. Schließlich standen auf dem Platz schon zwei Kirchen eng beieinander. Die im Westen, die Gertrudenkirche, war die Kirche der Salzwirker. Die im Osten die der Händler und Bürger. Doch schließlich setzte sich der Kardinal durch. Mächtig. Prächtig. Stolz sollte sie sein. Diese neue Kirche. Den katholischen Glauben sollte sie der ganzen Welt zeigen. Und damit natürlich auch seine eigene Person repräsentieren.
Gott braucht sie nicht, unsere Kirchen. Wir brauchen sie vielleicht auch nicht in der Masse, wie wir sie in unserer Landeskirche haben. Steinreich sind wir, sagen wir immer mit einem Seufzer. Keine Landeskirche in Deutschland hat so viele Kirchen wie wir. Und so wenige Christen wie wir.
Was also tun mit diesem Reichtum? Ich kann Ihnen erzählen, dass auch die Marktgemeinde steinreich ist. Vier Kirchen besitzen wir. St. Ulrich, St. Moritz und die Georgenkirche. Und diese hier, St. Marien Unser Lieben Frauen mit richtigem Namen. Die Kirche am zentralen Platz der Stadt. Die Kirche, mit deren vier Türmen sich die Stadt Halle in der Welt zu erkennen gibt.
St. Moritz hat das schönste Kleid.
St. Ulrich hat das schönste Geschmeid.
St. Marien hat das schönste Geläut.
Ein uralter Vers, den die Hallenser immer und immer wieder weitergegeben haben. Die Georgenkirche gab es damals noch nicht. Was macht eine Gemeinde mit vier Kirchen?
Sogar Luther, auf den unsere Gemeinde viel hält, nicht nur, weil hier seine Totenmaske liegt, sondern auch, weil er hier drei Mal gepredigt hat, Luther selbst mahnt: Es brauche zu einem rechten Gottesdienst keine Kirche. Es reiche auch ein Schweinestall, wenn nur das Wort Gottes erklinge und die Menschen in ihrem Herzen Gott nahe seien. Wenn sie ihm Lobgesänge singen und zu ihm beten.
Unsere vier Kirchen werden zum Glück zum Lobe Gottes genutzt. In der Moritzkirche ist im Moment noch die katholische Gemeinde zu Hause. Die Ulrichskirche ist seit reichlich 40 Jahren eine städtische Konzertkirche. Und, das ist ja allen bekannt: Die Musik kommt von Gott. Die Georgenkirche wird durch eine evangelische Freikirche genutzt.
Salomo, so haben wir es gehört, hat nur einen Tempel erbauen lassen. Freilich von großen Ausmaßen. Aber, so war es ihm wichtig: Ein Haus für den einen Gott.
Und Gott zeigt sich erkenntlich: So sei es mit dem Hause, das du baust, sagt Gott: Wirst du in meinen Satzungen wandeln und nach meinen Rechten tun und alle meine Gebote halten und in ihnen wandeln, so will ich mein Wort an dir wahr machen, das ich deinen Vorvätern gegeben habe, und will wohnen unter den Menschen und will sie nicht verlassen.
Es braucht die Kirchen, damit wir Menschen nicht übermütig werden. Damit wir uns erinnern lassen, dass Gott der Herr über unsere Schöpfung ist. Die hohen Kirchtürme weisen zu ihm.
Ich strecke mich aus nach Gott. Ich strecke mich aus, um meiner Hoffnung Nahrung zu geben, dass Frieden sein kann zwischen Menschen und Völkern. Ich strecke mich aus, um Kraft zu bekommen für Neuanfänge.
Gott braucht keine Kirchen. Er braucht uns Menschen. An allen Orten, wo wir von ihm reden und seine Gegenwart spüren lassen. Amen.
Predigtlied: 166,1-3 Tut mir auf die schöne Pforte