In der Paramentenwerkstatt
Kunst-Stoffe für schöne Kirchen
Die Andreasgemeinde in Frankfurt will den textilen Schmuck für Kanzel und Lesepult erneuern. Künstlerisch hochwertige und individuell angefertigte Stoffe sollen es sein. Wir verfolgen den Weg vom Entwurf bis zur Fertigung in der Paramentenwerkstatt.
Dies ist eine Adventsgeschichte, auch wenn sie im Hochsommer beginnt. Es geht ums Warten-Können, einmal, zweimal, dreimal, viermal…. Frankfurt am Main, ein Donnerstag im August. Sabine Fröhlich, Pfarrerin der Andreasgemeinde, tritt aus der gleißenden Mittagssonne in die kühle Kirche. Ein schlichter, zweistöckiger Nachkriegsbau mit einer Besonderheit: Über die gesamte Seitenwand ziehen sich bunte Glaselemente wie Wellen Richtung Altarraum. Farbige Punkte beleuchten die dunklen Bänke. Fröhlich, eine schlanke Frau Anfang 50, begrüßt lächelnd drei Mitglieder aus dem Kirchenvorstand, die mit ihr zusammen Entwürfe für einen neuen textilen Kirchenschmuck beurteilen sollen. "Na, wann kommen denn unsere Künstler?", fragt sie. - Da kommen sie schon durch die Tür: Marie-Luise Frey-Jansen und Johann P. Reuter, der Maler und die Paramentikerin, beladen mit Körben und Papierrollen. Dreimal waren die beiden schon hier in den vergangenen zwei Jahren, jedes Mal hingen ein paar Monate später neue Webdecken an Lesepult und Kanzel: erst die grünen für die normalen Sonntage, dann die roten für Pfingsten, die lilafarbenen für die Passionszeit und den Advent. Und heute das Finale: Weiß, die Farbe für die hohen Festtage Weihnachten und Ostern. Die Farbe des Lichtes. Und auch dieses Mal wird die Gemeinde einige Monate warten müssen, bis am Weihnachtsfest hoffentlich die neuen weißen Paramente die Kirche schmücken werden.
Paramente - so heißen die Textilien in einer Kirche: die Gewänder der Geistlichen, Wandteppiche und vor allem die Tücher, die an Altar, Pult oder Kanzel hängen. Letztere nennt man auch Antependien ("Vorgehänge") - und sie sind das Hauptgeschäft von Marie-Luise Frey-Jansen. Die Textilgestalterin und Künstlerin leitet die einzige Paramentenwerkstatt in Hessen. In ihrem Atelier in Darmstadt fertigt sie nach den Entwürfen verschiedener Künstler Auftragsarbeiten für Kirchengemeinden an, am Webstuhl, Stickrahmen, mit der Nähnadel oder durch Filzen, und sie restauriert alte Stoffe, alles in Handarbeit. Bis zu hundert Arbeitsstunden sitzen sie und ihre Mitarbeiterin an einem Antependium, das zwischen 500 und 5000 Euro kosten kann. Im Versandhandel für Kirchenbedarf gibt es das wesentlich günstiger und schneller.
"Konfektionsware?" Pfarrerin Sabine Fröhlich hat das nie in Erwägung gezogen. Sie malt selbst und sagt, Schönheit im Kirchenraum sei ihr so wichtig wie die Worte der Predigt und wie die Musik. Die Textilien müssten genau zu ihrer Kirche passen. Die sei schließlich auch keine Dutzendware. Die denkmalgeschützte Kirche im Frankfurter Stadtteil Eschersheim ist 1959 eingeweiht worden. "Sie hat eine Aura von Aufbruch. Die spürt man bis heute. Die vorigen Antependien aber strahlten das Gegenteil aus. Sie hingen da wie Lappen, muffig und alt." Als die Pfarrerin 2016 in die Gemeinde kam, hatte ihre Vorgängerin schon Geld für neue Antependien gesammelt, bei Geburtstagen und bei ihrer Verabschiedung. Fröhlich machte weiter, etwa mit einer Kunstausstellung in der Kirche, und im Februar 2018 nahm sie dann Kontakt zu Marie-Luise Frey-Jansen auf.
In der Andreaskirche ist es jetzt ganz ruhig. Auf dem Boden liegen drei längliche schmale Papierbilder in Weiß, Hellgrau, ein bisschen Gold. Auf dem ersten eine Art Mosaik, auf dem zweiten viele Kreuze, auf dem dritten Alpha- und Omega-Buchstaben. Schweigen. Schauen. Schweigen. Bis endlich die Pfarrerin auf das Mosaikbild zeigt und sagt: "Das spricht mich an." Kopfnicken in der Runde zeigt an: Das geht den anderen auch so. Das Mosaikmotiv greift die Form der Glaselemente in der Seitenwand auf. Das zweite Bild kommt nicht so gut an: "Das sind mir zu viele Kreuze", sagt einer der Betrachter. "Überhaupt, warum eigentlich Kreuze für Weihnachten?", hakt Fröhlich nach. "Diese Kreuze haben etwas Körperliches", antwortet Marie-Luise Frey-Jansen. "Das sind fast schwebende Körper." Einer Frau aus dem Kirchenvorstand gefällt das: "Ja, man kann Engelgestalten darin sehen. Das ist schön!"
Trotzdem, es bleibt dabei: Das Bild mit den vielen Kreuzen fällt raus. Die beiden anderen Entwürfe machen das Rennen - das eine für die Kanzel, das andere fürs Lesepult. Mit ein paar Änderungswünschen: "Noch ein bisschen mehr Gold, geht das?" - "Klar," sagt Johann Reuter, das könne er im Entwurf noch ändern. "Und die Punkte bitte nicht so dick. Eher leichter und schwebend, wie Sterne im Universum." Natürlich, das geht auch.
Stoffe schmücken Kirchen schon seit dem 4. Jahrhundert. Sie sollten dem Kirchenraum ein würdevolleres Aussehen verleihen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts stellten Ordensfrauen und Diakonissen sie in neu gegründeten Paramentenwerkstätten her. Die erste evangelische Paramentenwerkstatt eröffnete der Diakoniepfarrer Wilhelm Löhe 1858 im fränkischen Neuendettelsau. Die zu Paramentikerinnen ausgebildeten Diakonissen setzten das um, was männliche Künstler entwarfen: im 19. Jahrhundert noch üppig mit Goldbrokat verzierte Decken aus Seide oder feiner Wolle. Ab den 1930er Jahren dominierte dann der reduzierte Stil des Schriftkünstlers Rudolf Koch, der auf Schriftzeichen und handgefärbten Stoffen basierte. In vielen Nachkriegskirchen hingen solche Antependien.
Heute gibt es bundesweit nur noch sechs kirchlich-diakonische Werkstätten. Sie arbeiten in der Regel mit freischaffenden Künstlern zusammen und setzen auf Individualität. Grobmaschige Netze, Perlmutt, Metallgarne - fast alles ist möglich, wenn es denn in den Kirchenraum passt. Die liturgischen Farben bilden die Basis, aber auch diese seien nicht zwingend, sagt Markus Zink, Kunstreferent bei der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. "Manche Gemeinden stehen aus finanziellen Gründen vor der Wahl: ein mehrfarbiges Set in einfacher Qualität oder ein besonderes Kunstwerk für das ganze Jahr. Beides geht." Marie-Luise Frey-Jansens "Textilwerkstatt am Elisabethenstift" in Darmstadt ist eine von der Landeskirche bezuschusste gemeinnützige GmbH. Sie residiert im Untergeschoss einer Jugendstilvilla nahe der Kirche des Elisabethenstifts, deren Sanierung 2010 von der Stiftung KiBa mitfinanziert worden ist. 40 bis 50 Aufträge von Kirchengemeinden bekommt die Paramentikerin pro Jahr, von der einfachen Altartuchreinigung bis hin zur aufwendigen textilen Wandgestaltung.
Marie-Luise Frey-Jansen hat nur eine festangestellte Mitarbeiterin: Anke Bläß, eine schlanke Frau mit großen braunen Augen und kurzen grauen Haaren, sitzt an einem der beiden Hochwebstühle im Nebenraum. Seit der Besprechung in der Andreaskirche sind drei Wochen vergangen. Auf dem Boden liegen die beiden Entwürfe und ein Korb mit einer Unmenge an hellen, langgezogenen Wollknäueln: etwa 20 Farbnuancen Weiß und weitere 20 zwischen Rosa, Gelb und Grün.
Die Weberin hat den ersten Entwurf auf Transparentpapier kopiert und mit groben Stichen hinter die Kettfäden auf den Webstuhl geheftet. So kann sie sich Zentimeter für Zentimeter an der Vorlage hocharbeiten. Mit ihren schmalen, aber kräftigen Fingern führt sie die Wolle durch die Kettfäden hindurch. Mal wächst das Gewebe auf der einen Seite, mal auf der anderen. An einigen Stellen webt sie einen rosa Faden ein oder zwei grüne. Immer wieder drückt sie die Wolle mit kleinen Schlägen der Fingerkuppen nach unten in die Fäden. Ihre Hände sind dabei voller Spannung bis in die Fingerspitzen. Manchmal nimmt sie dazu auch einen schmalen Kamm mit langen Zinken.
Anke Bläß wird viele Tage mit diesem kleinen Tuch am Webstuhl verbringen. Irgendwann wird sie es dann abnehmen, die Enden vernähen und noch ein bisschen Gold einsticken. Spätestens im Dezember soll es fertig sein, damit zu Weihnachten die weißen Antependien erstmals in der Andreaskirche hängen.
Von Hanna Lucassen
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